D Oppositionsführer

Doppelkarriere

Die Krise des Weinbaus

Affären

Auslandserfahrungen

Vertrauenswerbung

Wahlkampf

"Flugzeugträger Rheinland-Pfalz"

Koalitionsaussage? Nein danke!

Tag der Niederlage

 

 

Zweiter Anlauf

Reisen

Genosse Trend stellt sich ein

CDU in der Krise

Die SPD erstmals stärkste Partei

Dämpfer für die SPD-Hoffnungen

Das neue Team

Eckpunkte für eine menschlichere Politik

Die Nacht des Siegers

Partnersuche

 

Doppelkarriere

Irgendwann im Frühjahr 1985 sitze ich mit Hugo Brandt und Rudolf Scharping in der Koblenzer Bahnhofswirtschaft zusammen. Die beiden gehen herzlich, freundschaftlich miteinander um. Brandt redet, wie es seine Art ist, gedämpft, meidet überflüssige Worte. Für ihn ist Scharping der einzige, der für seine Nachfolge in Frage kommt. Am 19. Juni 1985 wird Rudolf Scharping zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Er bekommt 39 Stimmen, keiner votiert gegen ihn, zwei Abgeordnete enthalten sich.
In jenen Tagen sind wir im Westerwald, Scharpings alter Heimat, unterwegs. Zu den "Wällern", wie der Menschenschlag sich nennt, ist die Kunde von dem neuen Mainzer Politstar noch nicht so ganz vorgedrungen. "Wie war doch noch mal Ihr Name", fragt der Juniorchef eines Sägewerks. Scharping buchstabiert: "Schule, Anton, Richard, Pingpong." In Bad Marienberg wird er schon mit mehr Achtung empfangen. Der Kurdirektor ist schließlich Genosse. Und im Gemeindehaus von Kirburg hat sich eine stattliche Schar Neugieriger versammelt, um den Neuen zu bestaunen. Treibt er's mit den Grünen? heißt in dieser schwarzen Ecke die Hauptsorge. Der Mann mit dem Bart beruhigt: "Politik macht man nicht nach Ampelfarben, sondern für die Menschen - um ihnen eine hoffnungsvollere Zukunft zu geben."
Irgendwo an einer Landstraße auf den Westerwaldhöhen muß Scharping seinen VW Passat abbremsen, weil einige Autos am Straßenrand warten. Er fährt vorsichtig vorbei. Jetzt sehen wir, daß ein Verletzter im Straßengraben liegt, sein Motorrad ragt zerbeult hervor. Scharping fährt weiter. Hinter uns blinkt Fotograf Dieter Bauer mit der Lichthupe, doch Scharping läßt sich nicht beirren. Später, beim nächsten Halt, ist Bauer ganz fassungslos. Das wäre doch ein schönes Foto gewesen: ein Politiker, der als barmherziger Samariter eingreift. Cool antwortet Scharping: "Es waren schon genug Leute da, die bereits halfen. Nur zur Show für euch Fotografen mache ich so etwas nicht."
Acht Jahre später eine ähnliche Szene. Scharping ist wenige Tage vor der SPD-Mitgliederbefragung in Brandenburg unterwegs. Nach einer Veranstaltung in Ludwigsfelde will er sich noch in Potsdam zu später Stunde mit Manfred Stolpe treffen. Auf halbem Weg, an einer Kreuzung, ist es gerade passiert. Zwei Autos sind aufeinandergefahren. Scharping läßt anhalten, hilft selbst mit, einen der Verletzten, dessen Fuß zwischen den Pedalen eingeklemmt ist, vorsichtig aus dem Wrack zu ziehen und "in eine stabile Seitenlage zu bringen", wie er es gelernt hat, als er den Führerschein machte. Als anderntags die Zeitungen hinter ihm hertelefonieren, ihn zum Helden machen wollen, wehrt er ab: "Was ich getan habe, ist doch ganz selbstverständlich."
Scharping ist erst 37 Jahre alt, als er zuerst zum Vorsitzender der 43köpfigen Landtagsfraktion und am 28. September 1985 auf dem Parteitag in Bad Kreuznach mit 138 Stimmen bei acht Nein-Stimmen und drei Enthaltungen auch zum Chef des SPD-Landesverbandes gewählt wird. "Ich war bislang immer der Jüngste", konnte er in seiner politischen Laufbahn wiederholt von sich behaupten.

Die Krise des Weinbaus


Das große landespolitische Thema in diesen Wochen: Die Krise des Weinbaus im Land der Reben, ausgelöst durch den Glykol-Skandal. Damals ist in österreichischen Weinen Diethylenglykol entdeckt worden. Auch deutsche Großabfüller, die mit den süßen Verschnitten handelten, sind von nachfolgenden Beschlagnahmeaktionen betroffen. Doch bald stellt sich heraus: Es sind nicht nur die österreichischen, täglich fallen nun auch deutsche Weine bei den Kontrollen auf. Meist "milde" Spätlesen im Billigangebot der Supermärkte für 2,98 Mark. Die Erklärung der Großabfüller, da sei wohl noch etwas von der österreichischen Weinen in den Abfüllanlagen oder in Tanks gewesen, die man mit deutschen Weinen aufgefüllt habe, erweist sich schnell als Vernebelung. Die billigen Austria-Importe sind als Süßreserve mit den deutschen Weinen verschnitten worden. Die Glykol-Affäre führt zu einem rapiden Absatzrückgang bei deutschen Wein, und die Winzer müssen damit rechnen, auf ihrer kommenden Ernte sitzenzubleiben.
Der frischgebackene Oppositionsführer, der sich schon 1982 im Untersuchungsausschuß zum Flüssigzuckerskandal sachkundig gemacht hatte, ergreift sofort nach der parlamentarischen Sommerpause am 29. August 1985 im Landtag das Wort zum Glykolskandal. Viele tausend Winzerbetriebe seien in Gefahr, "diese Gefahr ist nicht nur eine Folge des Handelns jener Gauner und Verbrecher, die in Österreich den Wein vergiftet haben". Schon 1975 seien in einem Bericht der Staatsanwaltschaft Mainz zur "Einfuhrkontrolle bei österreichischen Importweinen" jene Großabfüller aufgetaucht, die jetzt in den Skandal verwickelt seien. Nichts sei geschehen, auch nicht nach dem Untersuchungsausschuß von 1982.
"Was hindert Sie eigentlich daran", sagt er an die Adresse von Ministerpräsident Bernhard Vogel, "zu sagen, daß nach dem letzten uns erreichbaren Stand 47 deutsche Weine verpanscht worden sind mit österreichischem Wein, rechtswidrig und strafbar, und davon 31 in einer Firma in Rheinland-Pfalz, der Firma P. aus Burg L., wie wir die hier immer genannt haben?"
Gemeint ist natürlich die Firma des CDU-Politikers Elmar Pieroth (und seiner Familie) in Burg Layen bei Bingen, der schon einst als Wahlkreisgegner seines politischen Ziehvaters Wilhelm Dröscher eine schlechte Figur abgegeben hat. Pieroth ist zu jener Zeit Wirtschaftssenator in Berlin. Die Firma P. aus Burg L., die allein 25 Prozent aller Investitionszuschüsse für Weinbaubetriebe erhalten hatte, habe an der Nahe "die Preise gedrückt, und man hat allein in diesem Gebiet über tausend Winzerbetriebe von einer Geschäftspolitik abhängig gemacht, auf die die Winzerbetriebe selbst überhaupt keinen Einfluß hatten". Scharping verlangt schärfere Kontrollen der Großbetriebe und drastische Regeln für die Einfuhr von Weinen. "Wir verlangen, daß die deutschen Weinbauern nicht mit unlauterer Konkurrenz in ihrer Existenz bedroht werden... Wir, die Sozialdemokraten, werden immer wieder dafür eintreten, daß es keine Verwechslung zwischen den Winzerbetrieben auf der einen Seite und den Händlern und Abfüllern auf der anderen Seite gibt."
Das kommt an bei den kleinen Winzern. Scharping ist gerade ein paar Stunden zum Landesvorsitzenden gewählt, da reist er schon weiter in das Moseldörfchen Minheim, wo sich 1 600 aufgebrachte Winzer versammelt haben. In dieser CDU-beherrschten Ecke, "wo das Schwarze unter dem Fingernagel schon als Parteiabzeichen gilt" (so ein Teilnehmer), hätte sich noch wenige Jahre zuvor kein SPD-Vertreter blicken lassen dürfen. Scharping wird mit Beifall empfangen, der Weinbau-Staatssekretär der Landesregierung ausgebuht. Dem Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und seinem Weinbauminister Ziegler nehmen die Winzer übel, daß sie auf dem Höhepunkt des Glykol-Skandals Urlaub machten, dazu noch in Österreich, von wo das ganze Unheil seinen Lauf nahm. Scharping hatte seinen Urlaub in Dänemark deswegen sogar zweimal unterbrochen.
Die kleinen Winzer sind empört, daß Vogel ihnen die Schuld zuschiebt ("Sie haben ihren eigenen Wein mit österreichischen und italienischen Weinen verschnitten"). Scharping nimmt sie in Schutz; die Großabfüller seien die Schuldigen, sie müßten hart bestraft werden. Er malt erneut die Kumpanei der Landesregierung mit der Kellerwirtschaft an die Wand. Das kommt an, zumal jeder weiß, daß es Christdemokraten wie Elmar Pieroth und Werner Tyrell sind, die in der Glykol-Affäre immer wieder genannt werden. Die Stimmung ist geladen, weil die meisten kleinen Winzer ohnehin hoch verschuldet sind. Und nun die Absatzkrise, weil der Verbraucher bei "Spätlese" erst einmal an "Glykol" denkt. Die SPD verlangt staatliche Hilfe. Was den Stahlbetrieben recht sei, könne den Winzern nur billig sein.
Scharpings Ansehen bei den Winzern steigt zusätzlich, als er sich bei einer Fernsehsendung zum Thema kompetent und in ihrem Sinne äußert. Auf einer Winzerversammlung in Mainz wird der Oppositionsführer bejubelt, die Regierung wird ausgepfiffen.
Bei der Weinlese 1985 läßt sich Scharping dann im Weinberg des Schwiegervaters mit der Kiepe ablichten - ein bißchen plump, wie Kritiker meinen. Er muß ohnehin ernüchtert feststellen, daß er bei allem Engagement für deren Interessen die überwiegend konservativen Winzer nicht so einfach zur SPD rüberholen kann. Aber es reicht ja fürs erste, wenn sie der CDU den Rücken kehren. Bei den folgenden Landtags- und Kommunalwahlen in den Weinbaugebieten, besonders an der Mosel, gehen dann viele Winzerstimmen auf das Konto der Freien Wählergemeinschaften oder des Nichtwähler-Potentials. Der CDU-Regierung nützt es nichts, daß sie die Winzer mit der Einführung der neuen Qualitätsstufe "Hochgewächs" und mit einem "Jahrhundertvertrag" zur Sicherung des Weinabsatzes zu beruhigen versucht.
18 Prozent der CDU-Wählerschaft von 1983, so haben Experten errechnet, kamen von Angehörigen von Weinbaubetrieben oder abhängigen Branchen. Dieses Potential, so heißt es, könnte Scharping 1987 knacken.

Affären

Ins Gerede gekommen ist die Landesregierung zu jener Zeit auch durch horrende Verlustgeschäfte der Deutschen Anlagen-Leasing (DAL), einer Tochter der Rheinland-pfälzischen Landesbank. Die Minister Gaddum und Wagner sind als Vorsitzende des Verwaltungsrates mitverantwortlich. Allerdings sind vier weitere DAL-Gesellschafterbanken involviert - die Landesregierung kann also die Verantwortung wegschieben.
Nicht so einfach ist das für die Union beim Thema "Parteispenden-Affäre", das bereits in Bonn einen Untersuchungsausschuß beschäftigt. Als sehr bald klar wird, daß für viele steuerbegünstigte Geldtransaktionen der Tatort Rheinland-Pfalz war, beantragt die SPD auch im Mainzer Landtag einen Untersuchungsausschuß. Treibende Kraft ist, gegen den Widerstand so mancher in seiner Fraktion, Rudolf Scharping. Er läßt sich auch durch versteckte Drohungen, es könnten ja auch bei der SPD Unregelmäßigkeiten aufgedeckt werden, nicht einschüchtern.
Am 13. September 1984 wird der Untersuchungsausschuß eingesetzt. Er soll herausfinden, ob Rheinland-Pfalz eine "Steueroase" ("Die Zeit") für finanzkräftige Kreise war, die CDU/CSU und FDP auf Umwegen über gemeinnützige Vereine und Berufsverbände unter die Arme greifen wollten. Dafür gab es, anders als bei direkten Parteispenden, Quittungen, die unbegrenzt von der Steuer abgesetzt werden konnten. Die SPD will nun wissen, ob dabei alles mit rechten Dingen zugegangen ist - vor allem in den Jahren 1971 bis 1981, als Johann Wilhelm Gaddum (CDU) in Rheinland-Pfalz Finanzminister war.
Schon nach der ersten Runde der Zeugenvernehmungen steht fest, daß Gaddum mindestens im Fall eines der dubiosen Verbände in die Prüfungen der zuständigen Finanzämter eingegriffen und Gnade hatte walten lassen. Dabei ging es ausgerechnet um jene "Gesellschaft für Europäische Wirtschaftspolitik e. V." (GfEW), die am 17. September 1968 vom damaligen nordrhein-westfälischen FDP-Schatzmeister Otto Graf Lambsdorff gegründet und schließlich als "Geldwaschanlage" enttarnt wurde. Nach dem Vorbild anderer Vereine, die keine Lust verspürten, die Behörden des SPD-regierten Nordrhein-Westfalen in die Bücher schauen zu lassen, hatte der Graf Rheinland-Pfalz als Sitz seines angeblichen Berufsverbandes auserkoren. In Neuwied erhielt die GfEW vorläufig die Steuerbefreiung zugesprochen.
Als die zuständige Oberfinanzdirektion Koblenz den Braten roch und feststellte, daß der "Berufsverband" in Wirklichkeit der "Geldwäsche" für die FDP diente, worauf sie die Akten nach Nordhein-Westfalen weitergeben wollte, nahm sich Bertold Scholz, Regierungsdirektor im Mainzer Finanzministerium, ein Mann aus dem Ludwigshafener Freundeskreis von Helmut Kohl, der Sache an. Die OFD änderte ihre Meinung. Augenzwinkernd wurde, so bekommt die SPD heraus, die Sache geregelt.
Als nächstes nimmt Scharping die Spendenpraxis der CDU ins Visier - und damit den früheren CDU-Vorsitzenden von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl. Zwei Vorgänge des Jahres 1971 scheinen brisant zu sein. Die Commerzbank war mit einem Brief Kohls nicht zufrieden, in dem sich dieser für eine Spende über 20.000 Mark bedankt hatte. "Mit dieser Bescheinigung können wir nichts anfangen", schrieben die Bank-Oberen an Kohl zurück, denn für Parteispenden konnte man damals nur 1.200 Mark beim Finanzamt absetzen. 18 Tage später erhielt die Commerzbank von CDU-Landesgeschäftsführer Hans Terlinden eine Anzeigen-Rechnung der Parteipostille "Stimme der Union" über 19.800 Mark. "Umwegfinanzierung" nannte man so etwas.
In den Akten findet sich außerdem der Hinweis auf eine 60.000-Mark-Spende an Helmut Kohl, die über die Staatsbürgerliche Vereinigung Koblenz floß, mittlerweile vom Bonner Untersuchungsausschuß ebenfalls als Spendenwaschanlage enttarnt. Als Scharping darüber Auskunft haben will, wird die CDU nervös, läßt die Öffentlichkeit ausschließen und die Sitzung unterbrechen.
Scharping drängt darauf, Helmut Kohl vorzuladen. Lange sträubt sich die CDU-Mehrheit. Am 18. Juli 1985 endlich erscheint Kohl zusammen mit seinem einstigen Mainzer Mitarbeiter Horst Teltschik vor dem Untersuchungsausschuß. Als der CDU-Obmann Georg Adolf Schnarr ihm, um der SPD zuvorzukommen, gleich zu Beginn die Frage stellt, ob er gewußt habe, "daß diese Staatsbürgerliche Vereinigung, die in Koblenz ihren Sitz hatte, als Geld- und Spendenbeschaffungsanlage diente", antwortet der Kanzler mit einem klaren "Nein". Einschränkend fügt er hinzu: "Ich kenne natürlich die Staatsbürgerliche Vereinigung." Er habe dort auf Veranstaltungen gesprochen. Aber: "Die Spendenpraxis und inwieweit das steuerlich relevant war oder nicht, dazu kann ich nichts sagen." Stirnrunzeln bei der CDU, Entrüstung bei der SPD ist die Reaktion. Scharping: "Kohl hat eine gespaltene Erinnerung."
Dies führt zu einer Strafanzeige des Bonner Grünen-Abgeordneten Otto Schily wegen falscher uneidlicher Aussage. Die Koblenzer Staatsanwaltschaft ermittelt daraufhin. Die Sache aber hat im Februar 1986 ein aufsehenerregendes Medien-Nachspiel. In einem Fernseh-Streitgespräch mit Schily gibt CDU-Generalsekretär Heiner Geißler zu, Kohl habe "sehr wohl gewußt, daß die Staatsbürgerliche Vereinigung Spenden sammelte und an die Parteien weitergab"; der Kanzler habe möglicherweise einen "Black out" gehabt. Das Schlagwort vom "Black out-Kanzler" ist monatelang in aller Munde. Scharping allerdings geht die Affäre moderat an. Es dürfe weder eine Vorabverurteilung noch einen Vorabfreispruch für den Kanzler geben. Kohl habe ja Gelegenheit, sich mit "inzwischen vielleicht wieder gestärktem Erinnerungsvermögen" dem Ausschuß mitzuteilen.
Anfang 1987 beendet der Untersuchungsausschuß seine Arbeit nach vielen Behinderungen; so hatte die CDU-Mehrheit die Ladung von Zeugen und die Hinzuziehung von staatsanwaltlichen Akten in Sachen Helmut Kohl nicht zugelassen. Wie nicht anders zu erwarten, kommen CDU und SPD - andere Parteien sind damals nicht im Landtag vertreten - zu unterschiedlichen Ergebnissen. Für die Union ist erwiesen, "daß die Landesregierung, die Mitglieder der Landesregierung und Mitarbeiter ... ihre Amtspflichten beachtet" haben. Es habe keine unzulässige Einflußnahme bei steuerlichen Prüfungen gegeben, die untersuchten Organisationen seien nicht anders behandelt worden als alle anderen Verbände, Vereinigungen und Vereine.
Die SPD kommt in ihrem maßgeblich von Scharping formulierten Bericht zu einem ganz anderen Ergebnis. Die illegale Spendenpraxis sei "Mitgliedern der Landesregierung sowie leitenden Mitarbeitern des Landes jedenfalls teilweise bekannt" gewesen. Hohe Beamte der Finanzverwaltung hätten das Finanzgebahren mancher Berufsverbände und gemeinnützigen Organisationen überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Helmut Kohl hatte als CDU-Landes- und Bundeschef sowie als Ministerpräsident nach SPD-Überzeugung "sowohl Kenntnis von der Existenz der Spendenwaschanlagen in Rheinland-Pfalz als auch von deren Funktion". Fünf Einzelvorgänge sollen das belegen: Kohl habe den früheren Finanzminister Hermann Eicher (FDP) veranlaßt, einen Berufsverband in Linz aufzulösen, nachdem dessen illegale Tätigkeit amtsintern bekannt geworden war; er habe eine Firma, die der CDU Geld zukommen lassen wollte, darauf hingewiesen, daß sie dies über den "Verein zur Förderung der pfälzischen Wirtschaft" steuerunschädlich tun könne; einer deutschen Großbank habe er ermöglicht, über den Umweg einer fingierten Rechnung eines Kölner Forschungsinsituts der CDU Geld zukommen zu lassen; den Verrechnungsscheck eines Bremer Tabakkonzerns habe er über eine der obskuren Vereinigungen abgewickelt; und außerdem: "Es besteht weiter der durch die Aktenlage begründete Verdacht, daß der frühere Ministerpräsident Dr. Helmut Kohl von einer Versicherungsfirma über die Staatsbürgerliche Vereinigung den Betrag von 20.000 Mark für die CDU Rheinland-Pfalz erhalten hat."
Die nachgewiesenen Spendenpraktiken, so Scharping in der Debatte über den Untersuchungsbericht, hätten den Steuerzahler über 100 Millionen Mark gekostet. "Die Parteispendenpraxis bis in die 80er Jahre", so Scharping zusammenfassend, "ist eine schwere Beschädigung der Glaubwürdigkeit politischer Institutionen, der Parteien und handelnder Politiker."
Was hat der Parteispenden-Untersuchungsausschuß der SPD gebracht? Ein ganzes Stück vom CDU-Filz ist sichtbar geworden. Scharping hat sich in der Anfangsphase als scharfer Frager profilieren können. Doch ab Mitte 1985, nach der Kohl-Befragung, muß er sich als neuer Fraktionschef um andere Dinge kümmern.

Auslandserfahrungen

1984 begleitet Scharping den SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel nach Japan. Im gleichen Jahr reist er in die USA, um dort den Präsidentschaftswahlkampf zu beobachten. In Dallas erlebt er die Nominierung Reagans auf dem Wahlkonvent der Republikaner. Er notiert: "Diese Zusammenkunft der Reagan-Republikaner markiert in den Monaten vor der Präsidentschaftswahl den völligen Durchbruch der sogenannten neuen Rechten', die sich einer konservativ-reaktionären Ideologie verschrieben haben... Die Republikaner in Dallas folgten in der Ignoranz der Belange von Frauen, Arbeitnehmern, Schwarzen und Minderheiten einerseits, der Fortsetzung einer wirtschaftlich und sozial ungerechten Politik andererseits jenen Interessen, die auch die Delegierten verkörpern." ... Die agressive Beschwörung von Traditionellem' soll verdecken, daß Toleranz und Liberalität dazu nicht mehr gezählt werden."
Im Frühjahr darauf meldet er sich im Landtag mit einer sehr grundsätzlichen Rede über die Querelen zu Wort, die dem bevorstehenden Besuch von Präsident Reagan in der Bundesrepublik vorausgehen. Vor allem der vorgesehene Besuch des Soldatenfriedhofs Bitburg ist in den USA wie in Deutschland umstritten, liegen dort doch auch Angehörige der Waffen-SS begraben. Scharping zeigt sich in dieser Frage eher versöhnlich: "Es ist wahr, daß junge Menschen seinerzeit auch gegen und ohne ihren Willen zum Dienst in der Waffen-SS herangezogen worden sind. Es ist ebenso wahr, daß viele ehemalige Angehörige der Waffen-SS heute den Abscheu über die Verbrechen teilen." Dann fährt er fort: "Es bedeutet aber eine Überforderung, diese Unterscheidung auch von den Opfern der SS, ihren Hinterbliebenen und den Völkern zu verlangen, die unter dem SS-Terror gelitten und ihn unter blutigen Opfern überwunden haben."
Scharping beansprucht das Recht, Reagan bei seinem Besuch auch wegen dessen Rüstungspolitik zu kritisieren. "Warum muß Sorge und Kritik angesichts der Politik der gegenwärtigen Administration des Präsidenten Reagan in unserem Land als Antiamerikanismus diffamiert werden? Ich habe bei einem Besuch im vergangenen Jahr selbst erlebt, wie lebendig, wie klar und wie deutlich dort in einem Wahlkampf und später geredet wird. Dort wird der Kritiker an der Politik der gegenwärtigen Administration als guter Patriot, nicht als schlechter Amerikaner begriffen."
Am 5. April 1986 reist Scharping dann als rheinland-pfälzischer Oppositionsführer in die USA. Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung hält er Vorträge vor dem Foreign Service Institute und dem Institute for Defense Analyses. Die Überfrachtung des Landes Rheinland-Pfalz mit militärischen Einrichtungen ist sein wichtigstes Gesprächsthema. Neben einem Besuch beim Gewerkschaftsbund AFL-CIO stehen ein Besuch der Stanford University und Gespräche mit deutschen Unternehmern auf dem Programm. Er interessiert sich für das Modell Silicon Valley mit seinen zukunftsorientierten Betrieben und besucht einen Weinbaubetrieb in Napa Valley.
Bereits 1985 begleitet Scharping Willy Brandt auf einer Polen-Reise. Er verläßt die Delegation, um auf eigene Faust Gespräche mit Vertretern der Solidarnosc zu führen.
1987 reist Scharping dann, wieder mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung, nach China. Damals ist das Land auf Reformkurs. Die SPD-Delegation wird von ZK-Sekretär Hu Quill empfangen - man kannte sich schon von einem Besuch in Trier - und kümmert sich intensiv um die Wirtschaftsbeziehungen mit Rheinland-Pfalz. Das Schwerpunktthema: Hilfe bei der beruflichen Ausbildung.
Papst Johannes Paul II. ist er bereits 1984 bei einer Rom-Reise der SPD-Landstagsfraktion begegnet. Der Heilige Vater zeigt sich über die SPD gut informiert und spricht über die Aufgaben der Opposition.

Vertrauenswerbung

Auf seinen Optimismus hält sich Scharping viel zugute. Den braucht er auch, denn ein politischer Wechsel in Mainz scheint allzu weit entfernt. 1983 hatte die CDU eine satte Mehrheit von 51,9 Prozent der Stimmen erhalten. Die SPD landete bei 39,6 Prozent. FDP (3,5 Prozent) und Grüne (4,5) schafften den Sprung in den Landtag nicht. Scharping setzt nicht nur auf den seinerzeit allgemein positiven Trend für die SPD vor allem im Westen und Südwesten, sondern auch auf die kommunalpolitische Verankerung der Partei, die über rund 40 Prozent der kommunalpolitischen Mandate verfügt und auch 40 Prozent der Verbandsgemeindebürgermeister stellt. Seine Partei müsse im Bereich der Arbeitnehmerschaft stabiler werden und konfessionell gebundene Arbeitnehmer hinzugewinnen, heißt seine Strategie. Weitere Zielgruppen: Rentner, Frauen, Selbständige, Handwerker.
1986 zeigt eine von der SPD in Auftrag gegebene Umfrage: Das mögliche Potential der SPD reicht weit über 50 Prozent. Das macht Mut. "Das Land ist viel zu schön, um schwarz regiert zu werden", sagt Scharping. Er spricht von einem "SPD-Schwellenland". Die SPD verzeichnet 1985 rund 4 000 Neueintritte in Rheinland-Pfalz.
Gegen den Junggesellen Bernhard Vogel, der sich gleichwohl gerne als "Landesvater" feiern läßt, tritt Scharping als Familienvater an. "Keine Hemmungen" zeige er, "da Stärke zu zeigen, wo der Gegner nicht mithalten kann", schreibt Eckhart Kauntz in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Schon im Sommer 1986 erhalten alle Haushalte in Rheinland-Pfalz eine Wahlbroschüre, in der Scharping mit Frau und den drei Töchtern doppelseitig abgelichtet ist. Schlagzeile: "Ob sich unsere Kinder morgen wohlfühlen, entscheiden wir heute." Darunter aber nicht etwa eine Home-Story, sondern eine klare politische Botschaft: "Es gibt keine unsinkbaren Schiffe, keine perfekten Weltraumflüge und genauso wenig risikofreie Atomkraftwerke. Die Risiken der Nutzung von Atomenergie haben wir vor kurzem selbst erlebt. Die Folgen kennen keine Grenzen, weder räumliche noch zeitliche. Unfällen dieser Art kann man nicht entfliehen. Daraus müssen wir lernen. Um unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder nicht zu gefährden, muß es in Zukunft auch ohne Atomenergie gehen... Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und sind bereit, neue Ideen in die Tat umzusetzen. Für mehr Lebensqualität heute und morgen. Lassen Sie uns damit gemeinsam in Rheinland-Pfalz beginnen."
Beim Atomthema steht die SPD übrigens nicht so geschlossen da. In der Pfalz gibt es Sozialdemokraten wie den Luwigshafener Oberbürgermeister Werner Ludwig, die an ein neues Kernkraftwerk in Neupotz in der Rheinaue denken, weil sonst angeblich die Energieversorgung der BASF als größtem gewerblichen Arbeitgeber des Landes gefährdet sei. Umgekehrt verlangen in der Trierer Gegend viele ein politisches und rechtliches Vorgehen gegen das benachbarte französische Nuklearzentrum Cattenom, und im Norden wird Druck auf Scharping ausgeübt, klar zu sagen, daß er als Ministerpräsident dem Atommeiler Mülheim-Kärlich die Betriebsgenehmigung versagen werde. Scharping ist in diesem Punkt vorsichtig. Für ihn muß zuallererst nach Recht und Gesetz entschieden werden.
Im übrigen wirbt Scharping in der farbigen Broschüre, die von einer Plakataktion begleitet wird, mit den Schönheiten des Landes ("Rheinland-Pfalz ist schön. Hier bin ich aufgewachsen, in einer Familie mit sieben Kindern, unter manchmal schwierigen Umständen"), mit dem Sozialthema ("Soziale Ungerechtigkeit in Rheinland-Pfalz hat viele Erscheinungsformen..."), mit dem Thema Gleichberechtigung ("Es wird Zeit, daß die Rechte der Frauen in die Tat umgesetzt werden"), und er läßt sich auf einer weiteren Doppelseite mit zwei Soldaten beim Truppenbesuch ablichten.
Bei der Vertrauenswerbung setzt die rheinland-pfälzische SPD auch auf die eigene Kulturszene des Landes und knüpft emotional an den überwältigenden, auch internationalen Erfolg der Fernsehserie "Heimat" des Filmemachers Edgar Reitz an, die im Hunsrück spielt. Scharping macht sich diesen Begriff zu eigen. "Daß die Erde Heimat wird für alle Welt" ist das Motto einer Serie von Kulturveranstaltungen, entlehnt einem alten Song von Hanns-Dieter Hüsch, der selber bei der Auftaktveranstaltung am 2. März 1986 in Trier und auch später immer wieder mitmacht.
Hüsch, der schon Scharpings Vorgänger Hugo Brandt freundschaftlich verbunden war und ihn im Wahlkampf 1983 unterstützt hatte, hat einmal geschildert, wie die Aktion zustande kam. Eines Tages habe Scharping zu einem Essen bei "Mamma Gina" in Mainz eingeladen. Er habe nicht etwa gesagt: "Wir haben da diese Wahl, da könntest du doch auch mit ein paar Liedchen auf die Bühne..." Sie hätten vielmehr miteinander darüber gesprochen, "zu den Menschen im Lande zu gehen, im guten Sinn volkstümlich zu werden, ein soziales Erleben zu vermitteln". Kein parteipolitischer Wahlkampf sollte es werden, sondern "ein Kampf mit ganz anderen Mitteln". Hüsch zu Mainzer Journalisten: "Wir machen das nicht für den Wahlkampf, der Wahlkampf macht das für uns." Die SPD setzt zwar 100.000 Mark dafür ein, aber es wird ganz normaler Eintritt genommen, und die Künstler bekommen auch ganz normale Gagen. "Ich hasse die Bettelei um honorarfreie Unterstützung", hatte Scharping gesagt.
Am aktivsten von allen Künstlern ist ein Mann, den nicht nur in Rheinland-Pfalz jedermann kennt: Herbert Bonewitz, jahrelang Büttenredner-Star und Chef der "Gonsbach-Lerchen" beim Mainzer Karneval. Bonewitz ist aus dem platten Fastnachts-Humor ausgestiegen und macht Kabarett. Von Scharpings "Heimat"-Reihe ist der "Mensch der extremen Mitte" (Bonwitz über Bonewitz) sofort angetan. "Ich war lange genug bei den Schwarzen, warum soll ich nicht bei den Roten auftreten", sagt er.
Die "Heimat"-Abende, an denen auch Konstantin Wecker mitwirkt, finden einen enormen Zuspruch beim Publikum, gerade weil es keine eigentlichen Parteiveranstaltungen sind und die SPD nur im Hintergrund sichtbar wird. Vor allem die Kleinkunstszene des Landes erhält Impulse, die Jahre später, als die SPD in Mainz regiert, in den rheinland-pfälzischen "Kultursommer" einfließen.

Wahlkampf


Nach dem ersten Jahr als Oppositionsführer zieht Scharping eine erste Bilanz und empfiehlt sich damit als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten (für das er am 14. Juni 1986 von einem Landesparteitag nominiert wird). Er kann auf eine Vielzahl von Initiativen verweisen, an vorderster Stelle in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ein Wirtschaftspolitischer Beirat ist gebildet und der Mittelstand zusätzlich - bundesweit eine Premiere für die SPD - durch einen Arbeitskreis "Zukunft des Handwerks" eingebunden worden, der einen vielbeachteten Kongreß durchführt. Auch die offiziellen Vertreter des rheinland-pfälzischen Handwerks sind dabei. Dem Bericht "Wettbewerb und Beschäftigung" der CDU-Landesregierung hat die SPD ein eigenes Konzept entgegengesetzt und landesweit in regionalen Anhörungen diskutiert. Auch ein eigenes Technologieprogramm der SPD-Fraktion ist bereits in fünf regionalen Forumsveranstaltungen zur Diskussion gestellt worden. Im Sozialbereich haben bereits zwei Anhörungen zur "Neuen Armut" stattgefunden.
Die SPD zählt in Rheinland-Pfalz mittlerweile 72.000 Mitglieder, gemessen an der Einwohnerzahl des Landes eine höhere Quote als in großstädtischen SPD-Hochburgen wie Berlin oder Hamburg. Nur in Hessen-Nord und im Saarland ist die Mitgliederdichte ähnlich hoch. Scharping läßt sich vom Pressedienst seines Landesverbandes feiern: "Insgesamt präsentiert sich die SPD-Landtagsfraktion, wie auch der Landesverband, ein Jahr nach Rudolf Scharpings Amtsübernahme geschlossen, stabil, politisch zielbewußt und zuversichtlich. Zahlreiche Veranstaltungen auf Orts-, Kreis- und Unterbezirkssebene sind ein deutliches Zeichen für die neu entfachte Vitalität der Partei. Erstmals hat in den vergangenen Wochen eine landesweite Konferenz aller Ortsvereine der SPD stattgefunden; das große Vertrauen und die große Zuversicht, die von der SPD in ihren Spitzenkandidaten Rudolf Scharping gesetzt wird, macht die einstimmige Vollmacht an ihn deutlich, seine Regierungsmannschaft aufzustellen." Seinem Landesvorstand hat er gesagt: "Als Ministerpräsidenten-Kandidat beanspruche ich die gleichen Rechte wie ein Ministerpräsident. Also keine Abstimmungen im Landesvorstand."
Und er nutzt seine Machtposition. Knapp ein Jahr vor der Wahl stellt er auf einem Rheinschiff sein 13köpfiges Team vor. Es fällt auf, daß nur vier Landtagsabgeordnete darunter sind: Helga Düchting als "Staatssekretärin für Frauenfragen" (wohlgemerkt - nicht gleich als Ministerin), Professor Fritz Preuss für Finanzen, Michael Reitzel für Justiz und Kurt Beck als "Leiter der Staatskanzlei". Willi Rothley, Europa-Abgeordneter und damals Vorsitzender des SPD-Bezirks Pfalz, ist für "Bundesrat und Europa" vorgesehen, eine andere Europa-Abgeordnete, Beate Weber - später Oberbürgermeisterin von Heidelberg -, für das Umweltressort. Die Ärztin Gisela Thews soll Kultusministerin werden, der ehemalige FDP-Politiker Andreas von Schoeler - damals Staatssekretär im hessischen Innenministerium und später Oberbürgermeister von Frankfurt - Innenminister. Für den Bereich Arbeit und Soziales hat Scharping einen Gewerkschafter ausgeguckt: Heinz Spies, Bezirkschef der Postgewerkschaft.
Besonders aufmerksam wahrgenommen wird von der Landespresse die Benennung des Vorstandsvorsitzenden der Kreissparkasse Birkenfeld, Manfred Kremer, für den Bereich Wirtschaft, des Vizepräsidenten der Universität Mainz, Jürgen Zöllner, für den Bereich Wissenschaft und Technik und nicht zuletzt von Jacob Monshausen für das Ressort Landwirtschaft und Weinbau. Monshausen ist Vorstandsvorsitzender der größten genossenschaftlichen Weinkellerei des Landes, der Zentralkellerei Mosel-Saar-Ruwer.
"Namenlosigkeit und mangelnde Kompetenz", höhnt die CDU angesichts dieses Schattenkabinetts. Bissig kommentiert Hans-Helmut Kohl dies wiederum in der "Frankfurter Rundschau": das seien "durchaus bekannte Merkmale des amtierenden CDU-Kabinetts". Aber Autor Kohl sieht Scharping auf seine Weise kritisch. Er erinnere ihn an "das Bild eines Weitspringers, der aus vollem Anlauf vor dem Absprungbalken abbremst und sich aus Angst, überzutreten, vorzeitig vom Boden abstemmt - und dann zu kurz springt. Scharpings Furcht, Konventionen zu verletzen, die fehlende polemische Härte, die der von ihm bewunderte und gern ins Land geholte Oskar Lafontaine immer wieder vorführt: Sie lassen, neben der konservativen Grundstruktur in Rheinland-Pfalz, Zweifel an seinen Gewinnchancen zu."

"Flugzeugträger Rheinland-Pfalz"

"Flugzeugträger Rheinland-Pfalz" heißt eines der Schwerpunktthemen im Scharpingschen Wahlkampf. In der Wahlaussage heißt es: "Wir leben in einem kleinen Bundesland. Aber kein Land ist so mit militärischen Einrichtungen überladen wie Rheinland-Pfalz. Die militärischen Flugplätze im ganzen Land, Standorte, Manöver, Tiefflüge - wir spüren die Folgen Tag für Tag. Wir sind nicht der Flugzeugträger der NATO', wie andere meinen. Wir wollen souverän sein im eigenen Land. Dazu gehört: Die Tieffliegerei muß aufhören. Das Giftgas soll raus aus unserem Land, sofort und ersatzlos. Deutsche Arbeitnehmer bei den alliierten Streitkräften sollen gleiche Rechte haben. Wenn ein Landrat die Sicherheit von Munitionstransporten überprüft, soll die Landesregierung ihm dabei nicht in den Rücken fallen." Mit dem Landrat ist Ernst Theilen gemeint, sozialdemokratischer Verwaltungschef des Kreises Birkenfeld/Nahe und einst rechte Hand von Wilhelm Dröscher, als dieser Schatzmeister in der SPD-Parteizentrale war. Theilen hatte auf eigene Faust US-Militärfahrzeuge überprüfen lassen.
Scharpings Überzeugung ist, "daß mit den Amerikanern hart und offen reden muß und dann auch mehr respektiert wird, als wenn man sich nur an sie heranschleicht". "In welchem Land leben wir eigentlich?" fragt er. "Ist das noch unsere Heimat, vollgestopft wie ein Waffenlager?" Beifall bei den Stammwählern.
Umfragen bestätigen den Kurs: 63 Prozent der Rheinland-Pfälzer sind der Meinung, daß die amerikanischen Chemiewaffen sofort herausgehören aus Rheinland-Pfalz. Die Landesregierung hat offiziell noch nicht einmal Kenntnis davon, daß die USA in der Pfalz soviel Giftgas lagert, daß die Menschheit gleich 5000mal damit vernichtet werden könnte.
Im Frühjahr 1986 werden im Hunsrück im Vollzug des NATO-Nachrüstungsbeschlusses die ersten amerikanischen Marschflugkörper stationiert. Es kommt zu wiederholten Demonstrationen. Scharping selber hat bereits 1981 gegen heftigen Widerstand aus der eigenen Landespartei und dann 1983 an der Seite Willy Brandts an den großen Friedendemonstrationen teilgenommen. Auch später, so im Juni 1987, ruft er zu Anti-Nachrüstungs-Demonstrationen im Hunsrück und andernorts auf.
Das Thema Tiefflüge und Souveränität bleibt im übrigen auch nach der Landtagswahl ein zentrales SPD-Thema in Rheinland-Pfalz. Scharping schafft es 1988, eine gemeinsame Resolution mit den Mainzer Regierungsparteien CDU und FDP gegen Tiefflüge unter 300 Meter sowie gefährliche Waffentransporte zustande zu bekommen. Die Thematik bekommt eine bedrückende Aktualität, als am 28. August 1988 bei einem Flugtag auf dem pfälzischen US-Stützpunkt Ramstein zwei Flieger der italienischen Kunstflugstaffel "Frecce tricolore" in der Luft zusammenstoßen und eine der beiden Maschinen brennend in die Zuschauermenge stürzt. die schockierende Bilanz: 70 Tote, über 400 Verletzte. Kirchen und SPD waren gegen die Flugschau gewesen, Scharping war demonstrativ auf einer Gegenveranstaltung in der Nähe aufgetreten. Er benennt rückblickend ein Jahr später die eigentliche Ursache so: "Die Ignoranz der Militärs, mitverschuldet von Politikern, die Unterordnung und Schweigen für ein Zeichen von Freundschaft halten und nach dem Unglück auf fehlende formale Kompetenzen verweisen."
Und an die Adresse des atlantischen Bündnispartners sagt er: "Wir brauchen die Freundschaft und Solidarität mit allen, die Freiheit und Frieden und gleiche Rechte für die Menschen verwirklichen wollen. Dazu gehören nach ihrer Verfassung auch die Vereinigten Staaten von Amerika, auch wenn dies in der Politik des Alltags nicht immer erkennbar ist. Freundschaft zu den USA wollen wir gründen auf gleiche Rechte und innere Souveränität. Freundschaft muß sich bewähren im Ringen um die Verwirklichung gleicher Werte, in gegenseitiger Achtung. Militärischer Protzerei bedarf es dagegen nicht. Ramstein 1988 hat uns dies in schrecklicher Weise gezeigt."
Am 3. November 1989 fordert Scharping in der "Bild"-Zeitung konkret die Kündigung des NATO-Truppenstatuts und seiner Zusatzabkommen, die "verhindern, daß wir gleichberechtigte Partner in der NATO sind". Anschließend sollten die Grundlagen für die Präsenz fremder Truppen neu verhandelt werden, darunter auch die arbeitsrechtlichen Bedingungen für die Zivilangestellten. Insgesamt müsse, wer die Militärblöcke überwinden wolle, auch die Anwesenheit fremder Truppen auf deutschem Boden reduzieren.
Sechs Tage später öffnet sich die Berliner Mauer, und es nimmt eine Entwicklung ihren Lauf, von der man vorher nur träumen durfte: Die Militärblöcke lösen sich tatsächlich auf, die ehemaligen Alliierten reduzieren ihre Truppen in Deutschland erheblich. Für manche in Rheinland-Pfalz rücken die Amerikaner sogar zu schnell ab, hinterlassen schwere Umweltschäden und produzieren direkt (durch den Abbau von Zivilstellen) und indirekt (durch Abwanderung aus Gebieten, die ganz auf die amerikanischen Gäste eingestellt waren) Arbeitslosigkeit und Strukturprobleme. So ändern sich die Zeiten.

Koalitionsaussage? Nein danke!

Die verlorene Bundestagswahl vom 25. Januar 1987 fügt Scharping den ersten gehörigen Dämpfer des Landtagswahlkampfes zu. Zwar ist auch die CDU in Rheinland-Pfalz auf 45,1 Prozent zurückgefallen, doch die SPD erzielt mit 7,1 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 1965. Die Grünen kommen auf 7,5 Prozent.
Wenige Tage später bricht die rot-grüne Koalition im benachbarten Hessen auseinander. Scharping sieht die Schuld bei den Grünen - sie hätten die Basis der Regierungserklärung verlassen - und zieht für sich den Schluß: "Die Entwicklung in Hessen macht mich noch skeptischer, als ich in der Vergangenheit war, ob man mit den Grünen auch haltbare Vereinbarungen zu einer verantwortungsbewußten Reformpolitik treffen kann. Also bleibt es bei meiner Feststellung, daß wir keine Koalition mit den Grünen anstreben, aber wir wollen auch niemanden von einer vernüftigen parlamentarischen Arbeit ausgrenzen, der diese Arbeit leisten will."
Der Rücktritt Willy Brandts vom Parteivorsitz verdirbt erneut das Konzept, und am 5. April 1987, sechs Wochen vor dem Wahltag, bekommt der "Berufs-Optimist" (Scharping über Scharping) einen weiteren Dämpfer: Bei der Neuwahl des hessischen Landtages verliert die SPD erstmals seit dem Krieg ihre Regierungsmehrheit, eine CDU/FDP-Koalition kommt in Wiesbaden ans Ruder. Scharping macht sich und seinen Leuten Mut. Er glaubt, eine "Trotzstimmung" unter den Wählern ausgemacht zu haben: "Nun erst recht SPD..." Er stellt die Steuerbelastung der Arbeitnehmer in der Vordergrund und unterstellt der Bundesregierung, sie habe die nächste Mehrwertsteuer-Erhöhung bereits heimlich beschlossen.
Nicht nur den Grünen zeigt Scharping die kalte Schulter, er läßt sich auch grundsätzlich nicht auf das Glatteis einer Koalitionsaussage führen. "Eine starke eigene Mehrheit" ist sein Motto, auch wenn der SPD-Kanzlerkandidat Rau soeben mit seiner Formel der "eigenen Mehrheit" gescheitert ist. Dabei hat die SPD nach allen Regeln der Demoskopie und der politischen Algebra nur dann eine Chance, an die Macht zu kommen, wenn FDP und Freie Wähler auf Kosten der CDU sehr stark werden, aber knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben. Dann könnten SPD und Grüne zusammen stärker als die CDU werden. Den Braten haben die Konservativen natürlich auch gerochen und malen das rot-grüne Gespenst an die Wand.
"Berührungsängste mit denen habe ich nicht", sagte Scharping weit im Vorfeld der Wahl. Doch je näher der Wahltag, der 17. Mai 1987, rückt, desto deutlicher setzt er sich von den Grün-Alternativen ab. Er nennt sie eine "Kaderpartei". Überhaupt müßten sie erst einmal ihr Verhältnis zum Rechtsstaat klären. "Ich nehme die Grünen ernst, aber mit ihnen kann man keine verläßliche Politik machen", wiederholt er Wahlkampfauftritt für Wahlkampfauftritt. "Unter den Grünen ist keiner, den ich in meinem Verein auch nur die Jugendmannschaft anvertrauen könnte", sagt der Vorsitzende der SG Lahnstein. Und er schwört: "Es wird nach dem 17. Mai keine Koalition mit den Grünen geben." Seinen eigenen Genossen rät er: "Kümmert euch selber um die jungen Leute, ehe sie zu den Grünen abwandern." Im übrigen bemüht er sich nach dem Modell Lafontaine, die eigene umweltpolitische Kompetenz herauszustellen.
Die FDP zu umwerben ist zu dieser Zeit zwecklos. Sie setzt mit ihrem Spitzenmann Rainer Brüderle darauf, die absolute Mehrheit der CDU zu brechen, um von ihr als Koalitionspartner gerufen zu werden. Die Demoskopen rechnen damit, daß die Union die absolute Mehrheit von bis dahin 57 der 100 Landtagssitze verliert. Bereits bei der Bundestagswahl am 25. Januar 1987 kommt sie nur noch gerade ein halbes Prozent mehr als SPD und Grüne zusammen. Das Protestverhalten der Bauern und Winzer von Eifel und Mosel schlägt bereits durch. "Der Vogel kriegt ein Brüderle und kann weitermachen", heißt das inoffizielle Motto. Von einer sozialliberalen Koalition redet niemand, zumal mit dem Einzug der Grünen in den Landtag gerechnet wird.
Der Wahlkampf dümpelt dahin. Seit Hessen an die Union gegangen ist, steht die Mehrheit der Bonner Koalition im Bundesrat nicht mehr in Frage. Die Parteien werfen daher nicht soviel Prominenz und Material an die rheinland-pfälzische Front wie ursprünglich geplant. "Rüber zu Rudolf" ist das Stabreim-Motto der SPD. CDU-Generalsekretär Heiner Geißler dichtet zurück: "Rüber zu Rudolf, der roten Rübe, o Rheinland-Pfalz, wie wär' das trübe."
Auch Kurioses passiert. Innenminister Kurt Böckmann (CDU) tritt aus dem Ludwigshafener Karnevalsverein "Munnemer Göckel" aus, weil dessen Präsident sich öffentlich zur SPD bekannt hat. Scharping kontert: "Ich bleibe Mitglied im Niederlahnsteiner Carnevalsverein, obwohl der Präsident sich in einer Anzeige für die CDU ausgesprochen hat. Politik ohne Humor ist, so meine ich angesichts des unduldsamen Kurt Böckmann, genauso öde wie parteipolitischer Karneval."
Scharfe Töne kommen selten auf. Einmal beschwert sich Scharping bei seinem Kontrahenten Vogel, weil Heiner Geißler ihn nicht so ganz fein einen "Phrasendrescher und Lügenorgler" genannt habe. "Was", so Scharping, "ist daran noch christlich?" Ein wenig scheinheilig ist die Frage schon, denn Scharping kann selber, wenn es drauf ankommt, ein Meister der Verbalinjurien sein. Aber eines hat er schon frühzeitig erkannt, wie Joachim Neander in der "Welt" feststellt: "Wer die CDU samt und sonders schlecht macht, macht im Grunde das Land mit seiner 40jährigen Geschichte schlecht. Das mögen die Leute nicht. Wer ständig auf dem Kanzler in Bonn herumhackt, macht sich unnötig Feinde in der Pfalz."
Bernhard Vogel kommt am Ende noch einmal ins Schlingern, weil er eine Kampagne für das "ungeborene Leben" führt. Vor allem Wählerinnen sind verunsichert: Will der strenggläubige, unverheiratete Katholik hinter den geltenden Paragraphen 218 zurück? Hat das alles indirekt damit zu tun, daß unmittelbar vor dem Wahltag Papst Johannes Paul II. nach Deutschland und auch nach Mainz kommt? Vogel hatte, Zufall oder nicht, den Wahltermin festgelegt, als der Zeitraum der Papstreise bekannt war.
Scharping läßt sich davon nicht provozieren, sondern lobt den Heiligen Vater anläßlich seiner Deutschlandreise ausdrücklich dafür, daß er zwei Opfer der Nazi-Diktatur seligsprechen wolle. "Edith Stein, eines der Opfer deutscher Gewalttaten am jüdischen Volk, und Rupert Mayer, ein tapferer Priester, der gegen Unrecht und Gewalt seine Stimme erhoben hat, werden von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen", schreibt der nicht praktizierende Katholik Scharping im SPD-"Vorwärts". "Daß die Kirche diese beiden beeindruckenden Zeugen unserer dunklen Vergangenheit vorstellt, ist ein Zeichen dafür, daß Erinnerung und Gedächtnis zu den Grundlagen menschlicher Existenz gehören."
Der Amtsinhaber Vogel meidet die direkte Konfrontation und kneift vor dem Fernsehduell der beiden Spitzenkandidaten. Ihn selber kennen die Wähler, Scharping kennen einige Wochen vor der Wahl erst zwei von dreien. "Eher fließt die Mosel in die Donau, als daß eine Partei, die im Januar bei der Bundestagswahl 37 Prozent der Stimmen erhielt, im Mai eine Mehrheit bekommt", höhnt Vogel.
Eckhart Kauntz schildert in der FAZ die Lage realistisch: "Der nach zehnjähriger Amtszeit fast hundertprozentige Bekanntheitsgrad des bienenfleißigen Ministerpräsidenten Vogel bringt den Oppositionsführer in eine benachteiligte Lage. Anders als sein Parteifreund Lafontaine, den seine Oberbürgermeisterfunktion in Saarbrücken schon lange vor seinem Wahlsieg populär gemacht hatte, muß der Rheinland-Pfälzer mit der Frage leben: Wer ist eigentlich Scharping?'"

Tag der Niederlage


Scharping hat schon im Morgengrauen des Wahltags das SPD-Wahlblatt "Zeitung am Sonntag" in ein paar hundert Briefkästen gesteckt und ist dann nach einem zweiten Frühstück mit Ehefrau Jutta im heimatlichen Lahnstein wählen gegangen. Am frühen Sonntagnachmittag verliert er zum ersten Mal: Auf eigenem Platz unterliegt die SG Lahnstein vor den Augen ihres Vorsitzenden Rudolf Scharping dem VfL Oberbieber mit 0:2 und rutscht damit auf den vorletzten Platz der Verbandsliga Rheinland.
Am späteren Nachmittag fährt Scharping zum Mainzer Landtag, um sich mit engsten Beratern im zweiten Stock des Fraktionsgebäudes zu verbarrikadieren. Die Vor-Umfragen sehen nicht gut aus: Die Partei muß mit einem Absacken auf 37 und weniger Prozente rechnen. Um so größer der Jubel im SPD-Fraktionssaal, wo sich Mitarbeiter und einige Abgeordnete eingefunden haben, als die ersten Trendmeldungen durchgegeben werden: Die CDU hat ordentlich Federn lassen müssen. Dann erleichtertes Geraune, als die ersten SPD-Zahlen über den Sender kommen: Man hat sich unerwartet klar stabilisieren können. Als sich die verschiedenen Hochrechnungen angenähert haben, kommt Scharping aus seinem Zimmer und gibt erst einmal einer seiner Töchter einen dicken väterlichen Kuß. Der 39jährige hat in den letzten Wochen die ersten grauen Haare an den bärtigen Schläfen bekommen. Er weiß jetzt: Das Ergebnis ist ein Grundlage, auf der er unbestritten Oppositionsführer bleiben und sich in vier Jahren wieder zur Wahl stellen kann. Scharping: "Wir sind bei dieser Wahl die einzige Partei, die das Bundestags-Wahlergebnis deutlich überboten hat."
Dem eigentlichen Sieger der Wahl, FDP-Chef Rainer Brüderle, begegnet Scharping im Wahlstudio des Privatsenders SAT 1. Er wünscht dem FDP-Mann "unter der Filzdecke mit der CDU viel Spaß". Die FDP hatte zwar angekündigt, sie wolle gegen den "schwarzen Filz" im Lande angehen, sich dennoch frühzeitig strikt auf eine Koalition mit der CDU festgelegt und ihre regelmäßigen Kontakte zur SPD abgebrochen.
Der FDP war es offensichtlich gelungen, sich vom Scholl-Trauma - der Verurteilung ihres ehemaligen Landesvorsitzenden wegen Juwelendiebstahls - zu befreien. Die Liberalen schnitten gut ab, obwohl sie in Rheinland-Pfalz keine besondere kommunalpolitische Basis hatten. Die Angst der Wähler vor dem rot-grünen Bündnis hatte den Liberalen geholfen. und in der Debatte um die doppelte Null-Lösung bei der Nachrüstung hatte sich ihr Zugpferd Hans-Dietrich Genscher gegen die Scharfmacher in der Union profilieren können. Eilfertig hatte die Landes-FDP denn auch in den letzten Tagen vor der Wahl ihre Plakate mit dem Aufkleber "Sicherheit und Abrüstung" versehen.
Und die CDU? Noch am Mittwoch vor der Wahl hatte ihr Frau Noelle-Neumann von Allensbach in der "Bild"-Zeitung über 50 Prozent verhießen. Vogel tritt, statt sich selbst in Frage zu stellen, sofort die Flucht nach vorn an und sucht die Schuldigen anderswo: Es sei nicht gelungen, den Erfolg der Bundesregierung in der Abrüstungsfrage auch als solchen darzustellen. Zweite Ursache laut Vogel: die Landwirtschafts- und Weinbaupolitik der EG. Und zu der Frage nach Konsequenzen sagt Vogel: "Was meine Person betrifft, wird es keine Konsequenzen geben."

Zweiter Anlauf


Das endgültige Ergebnis vom 17. Mai 1987: Die Wähler haben die CDU von ihrem Sockel der absoluten Mehrheit geholt - sie erhält nur noch 45,1 Prozent. Die Koalition mit der FDP ist vorprogrammiert. Aber auch die SPD hat ihr Wahlziel nicht erreicht. Wenigstens über die 40-Prozent-Marke hatte man kommen wollen. Und nun 38,8 Prozent.
Scharping denkt nicht daran, in Sack und Asche zu gehen. Sein Augenmerk hatte sich ohnehin auf die Wahl 1991 gerichtet, wenn die CDU verbraucht sein würde. Daß er als Oppositionsführer weitermacht, steht von Anfang an außer Zweifel - er wird schon am 20. Mai von der Fraktion einstimmig in geheimer Wahl bestätigt. Gleichwohl hatte er für den Fall der Fälle vorgesorgt: Vor der endgültigen Zusage der Spitzenkandidatur hatte er sich eines Jobs in der Privatwirtschaft versichert.
Im Rückblick auf die Wahl findet Scharping im Juni 1988 deutliche Worte, als er sich zur Wiederwahl als Bezirksvorsitzender Rheinland/Hessen-Nassau stellt. Das Ergebnis sei durch den Rücktritt Willy Brandts und durch die "leichtfertig verlorenen Wahlen in Hessen" beeinflußt worden. Auch die Bundestagswahl hätte nicht verloren gehen müssen, wenn da nicht "Halbherzigkeit und Kleinmut der Genossen" gewesen wären und es nicht an wirtschaftspolitischer Kompetenz gemangelt hätte.
Am 1. Juli 1987 debattiert der Landtag über die Regierungserklärung der neuen Koalitionsregierung Vogel-Brüderle. In der nicht gerade SPD-freundlichen "Rhein-Zeitung" kommentiert Hans-Robert Hauser anerkennend: "Die vielbeschworene Stunde der Opposition`, als die die Aussprache über die Regierungserklärung nach klassischem Parlamentsverständnis gilt, schlug gestern in der Tat für SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping, der Aufgabe und Selbstverständnis der Sozialdemokraten in dieser von vier Parteien bestimmten neuen Lage im Mainzer Landtag definierte... Sinn einer Regierungserklärung ebenso wie der Erwiderung des Oppositionsführers ist freilich auch nicht die buchhalterische Auflistung der Landespolitik, sondern, die politischen Leitlinien für die vierjährige Legislaturperiode aufzuzeigen. Scharping tat dies anhand eines Sieben-Punkte-Katalogs, auf dessen Grundlage die Sozialdemokraten die Regierungsarbeit kritisch begleiten und eigene Alternativen dazu entwickeln wollen... Mit der Zusicherung, Streit nicht um des Streites willen zu suchen und nicht Opposition um ihrer selbst willen zu treiben, und mit dem Zugeständnis, daß der Kompromiß manchmal sinnvoller sein könne als das Reklamieren des eigenen unverfälschten Standpunkts, signalisierte Scharping Verhandlungsbereitschaft über die von der Koalition vereinbarten Änderungen des Wahlrechts und der Kommunalverfassung, die ohne Mitwirkung der SPD-Abgeordneten zwangsläufig an der Hürde der dafür erforderlichen verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit im Parlament scheitern müßte."

Reisen


Ende Oktober 1987 reist Scharping mit einer Delegation seiner Landtagsfraktion in die DDR. Das obligate Gruppenbild mit Honecker gibt es von ihm - anders als von anderen Brandt-"Enkeln" - nicht. (Erst bei dessen Besuch in der Bundesrepublik, als er auch das Marx-Haus in Trier besichtigt, gibt er ihm die Hand.) Er spricht mit dem Politbüromitglied Hermann Axen. Es geht ganz konkret um Abrüstungsfragen. Man redet auf der Basis des gemeinsam von der SPD und der SED vereinbarten Papiers "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" miteinander, das die atomare und chemische Aufrüstung stoppen will.
Auf einer Pressekonferenz im Internationalen Pressezentrum berichtet Scharping: "Sie wissen, daß Rheinland-Pfalz ein Land ist, das wie wenig andere Regionen in Europa mit militärischen Einrichtungen belastet ist. Naturgemäß besteht dann ein Interesse auf der Grundlage des gemeinsamen Dokuments zwischen SPD und SED einerseits und der Entwicklung zwischen den beiden Staaten auch die Frage auszuloten, was man mit Blick auf diese besondere Belastung tun kann. Wir haben mit Herrn Axen die Frage erörtert, wie der Prozeß der Verhandlung über ein globales Verbot der Produktion von Chemiewaffen einzuschätzen sei. Wir sehen mit einer gewissen Sorge, daß sich zum Beispiel in den Vereinigten Staaten das Risiko nicht ganz ausschließen läßt, daß dort noch Entscheidungen übe die Produktion binärer Chemiewaffen getroffen werden könnten. Das ist ein Thema von überragender Bedeutung, und es hat für uns einen regionalen Einfluß deshalb, weil sich das zentrale bedeutende Lager der Giftgaswaffen der US-Army in Westeuropa in der Nähe von Pirmasens befindet."
Konkretes Ergebnis der Gespräche sei, daß "wir auf der Ebene der Parteien im nächsten Frühjahr den Versuch machen, eine Konferenz von Fachleuten über die Frage der Vernichtung von vorhandenen Chemiewaffenbeständen zu organisieren, auch um klarzumachen, daß wir ein hohes Interesse gemeinsam daran haben, daß Chemiewaffen aus den Arsenalen verschwinden, daß sie vernichtet werden, daß keine neuen produziert werden." Komme es nicht zu einem globalen Abkommen, so Scharping, dann müsse man über chemiewaffenfreie Zonen reden.
Die Delegation, zu der auch der Mainzer SPD-Oberbürgermeister Hartmut Weyel gehört, reist dann weiter nach Erfurt, wo die Vorbereitungen für eine Städtepartnerschaft angelaufen sind. Es wird der Austausch von Expertendelegationen beschlossen. Auch die Partnerschaft zwischen dem Rhein-Hunsrück-Kreis und dem brandenburgischen Kreis Luckenwalde ist ein Ergebnis der DDR-Reise.
"Wohl habe ich mich bei dieser Reise nicht gefühlt, denn ich hatte schon zu meiner Juso-Zeit, als es Kontakte zur FDJ gab, eine innere Abneigung gegen das DDR-System", sagt Scharping rückblickend. "Für mich war der Staatskommunismus am 21. August 1968 mit dem Einmarsch der Sowjets in Prag gestorben."
Im Februar 1988 erhält Scharping vom Bonner US-Botschafter Richard Burt, mit dem er gleichfalls das Thema Chemiewaffen erörtert hat, eine Einladung in die USA. Ende April tritt er seinen zweiten USA-Besuch als Oppositionsführer an. Auch in Washington mahnt er die Zusage der USA an, bis 1992 die Giftgaslager im Pfälzer Wald zu räumen. Keine Illusionen freilich, so stellt Scharping nach seiner Rückkehr fest, dürfe man sich über die Lage der Zivilbeschäftigten bei den US-Streitkräften in Rheinland-Pfalz machen. Die USA setzten, schon aus Einspargründen, auf Abbau der Stellen.
Chemiewaffen sind auch ein zentrales Thema, als Scharping zusammen mit dem Landtagsabgeordneten Gerhard Schmidt und dem Wormser Bundestagsabgeordneten Florian Gerster genau ein Jahr später nach Moskau reist. Es kommt zu einem längeren Gespräch mit Gorbatschows Sicherheitsberater Vadim Sagladin, der versichert, die Sowjetunion habe keine Bedenken, im Rahmen eines Vertrages über Chemiewaffen ihre Lager vollständig kontrollieren zu lassen. Scharping begrüßt das: Dann könnten es die USA wohl den betroffenen Gemeinderäten auch nicht mehr verwehren, das US-Depot Fischbach zu betreten, wo das Giftgas vermutet wurde. Später stellte sich heraus, daß es in Clausen gelagert war

Genosse Trend stellt sich ein


Seit seiner Wahl zum Landesvorsitzenden kämpft Scharping darum, die rheinland-pfälzische SPD, die nach wie vor nur eine Arbeitsgemeinschaft der drei Bezirke Rheinland/Hessen-Nassau, Rheinhessen und Pfalz ist, zu einem schlagkräftigen Landesverband zusammenzuführen. Die mächtigen Bezirksfürsten - er selbst als Chef des nördlichsten der drei Bezirke natürlich ausgenommen - fürchten um ihre Macht. Das gilt besonders für Willy Rothley, den pfälzischen Bezirksvorsitzenden. 1987 kommt Rothley ins Gerede: Der Konkurs des parteieigenen Druck- und Verlagshauses "Neue Pfälzer Post", für das er verantwortlich ist, soll verschleppt worden sein. Rothley bemüht sich noch um die Rettung des Unternehmens, kündigt aber auch seinen Rückzug vom Bezirksvorsitz an. Auf einem Landesparteitag in Trier wird am 7. November 1987 Scharpings Plan akzeptiert, aus dem Landesverband, der bisher ein Dachverband war, eine eigenständige Organisationgliederung mit eigens gewählten Delegierten zu machen. Um die Umsetzung der Parteireform abzusichern, läßt sich Scharping am 11. Juni 1988 ein drittes Mal als "Bezirksfürst" bestätigen. Zwei Jahre später wird Christoph Grimm sein Nachfolger.
Gut ein Jahr nach der verlorenen Landtagswahl findet sich "Genosse Trend" allmählich wieder bei der SPD ein. Im September 1988 veröffentlicht die "Rheinpfalz" zum ersten Mal ihr vierteljährliches "Politbarometer" für Rheinland-Pfalz, ermittelt von "Infas". Demnach kommt die SPD auf 41 Prozent, gut zwei Punkte mehr als bei der Landtagswahl am 17. Mai 1987, als die CDU gerade noch 45,1 Prozent der Stimmen erreichte. Mittlerweile geben ihr die Demoskopen nur noch 43 Prozent, dem Koalitionspartner FDP mit 8 Prozent kaum mehr als bei der letzten Wahl. Die Grünen stagnieren bei 6 Prozent. Scharping, vor zwei Jahren fast noch ein "Nobody", liegt im Ansehen vor Vogel. 47 Prozent wünschen, daß er "eine wichtige Rolle spielt", nur 39 Prozent sagen dies vom bald zwölf Jahre amtierenden Ministerpräsidenten.
Scharping hat im übrigen vom ersten "Rheinpfalz-Politbarometer" an stets die Nase deutlich vorn gehabt. Die Landesregierung versuchte stets "Infas"-Umfragen mit angeblich ganz anderen Ergebnissen anderer, von ihr beauftragter Institute zu konterkarieren. Als dann 1991 die SPD in die Staatskanzlei einzieht, findet sie die tatsächlichen Umfrageergebnisse der Jahre 1988 bis 1991 vor. Frau Noelle-Neumann aus Allensbach war in Wirklichkeit zu sehr ähnlichen Ergebnissen gekommen wie ihr Kollege Klaus Liepelt aus Bad Godesberg.
Im November 1987 wird Scharping mit 138 von 154 Stimmen als Landesvorsitzender wiedergewählt. Am 19. Mai 1990 wird er auf einem Landesparteitag in Bad Dürkheim dann zum dritten Mal bestätigt. Er bekommt 209 von 220 Stimmen - ein Zeichen dafür, daß er längst unumstritten ist und nahezu keine Gegner in der eigenen Partei mehr hat.
Zur Erfolgsbilanz auf harten Oppositionsbänken gehört die Änderung des Wahlrechts. Schon Wilhelm Dröscher hatte als Fraktionschef dafür gekämpft, in Rheinland-Pfalz ein Wahlrecht ähnlich dem für Bundestagswahlen einzuführen. Erst nach der Wahl von 1987 schwenkt die CDU auf Druck des Koalitionspartners FDP, der das gleiche Ziel verficht wie die SPD, darauf ein. Der Wähler hat nunmehr eine Erst- und eine Zweitstimme, das Land wird in 51 Wahlkreise aufgeteilt, es gibt vier Bezirkslisten oder eine Landesliste. Die Wahlperiode wird auf fünf Jahre verlängert.
Geändert wird auch das Wahlverfahren bei den Landräten: Sie werden nunmehr von den Kreistagen gewählt und nicht mehr einfach von der Landesregierung ernannt. Scharping zeigt sich zufrieden, daß sich in diesem Fall eine "Interessenidentität" von SPD und FDP herausgebildet habe.

CDU in der Krise


Zugute kommen Scharping und seiner SPD die zunehmenden Querelen in der Regierungspartei CDU. Die Landtagswahl vom 17. Mai 1987 hatte sie in ihre tiefste Krise seit ihrem Bestehen in Rheinland-Pfalz gestürzt. Von 51,9 auf 45,1 Prozent abzusacken und damit auf die FDP als Koalitionspartner angewiesen zu sein, das wirkte auf die Basis wie ein Schock. Bernhard Vogel, Ministerpräsident und Landesvorsitzender, verspricht die Aufarbeitung der Ursachen, doch in Wirklichkeit verhindert er sie. Die Schuld sieht er ohnehin weniger bei sich selbst als bei der Basis. Er versucht seine Haut mit dem Vorschlag zu retten, einen Generalsekretär zu installieren.
Das aber kommt bei der Basis nicht an. Ein Jahr nach der Wahl wird auf einem Parteitag in Bad Dürkheim endlich Tacheles geredet. Die Delegierten kippen die von Vogel vorgesehene Tagesordnung und kommen zur Sache - ein erstes Warnsignal für den seit 1976 regierenden Schützling von Helmut Kohl. Delegierte fordern, "die Partei wieder auf die Füße zu stellen", und klagen über Vogels selbstherrliches Gebaren. "Wir sollten mehr daran denken, Staat und Partei zu trennen", heißt die bemerkenswerte Selbsterkenntnis des Koblenzer Regierungspräsidenten Theo Zwanziger. Der Trierer Bundestagsabgeordnete Günther Schartz fordert offen eine Trennung der Ämter des Ministerpräsidenten und des Landesvorsitzenden der Partei.
Auf dieses Signal hatte Hans-Otto Wilhelm schon gewartet. Der damals 48jährige ehemalige Personalreferent des ZDF war 1981 Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion geworden, ein Job, der ihm Spaß machte und in dem er sich profilierte - mit Reden, die brillanter waren als die des Regierungschefs. Vogel versuchte ihn mehrfach zu bändigen, indem er ihm einen Kabinettsposten anbot. Das gelang ihm erst 1987, als Umweltminister Klaus Töpfer ins Bonner Kabinett wechselte. Der betuliche, acht Jahre ältere Emil Wolfgang Keller wurde neuer Fraktionschef.
Umweltminister - ein Job, der Wilhelm ganz und gar nicht gefällt. Er sammelt seine Truppen, zieht durch die Ortsverbände und wirft für den Parteitag am 11. November 1988 in Koblenz, auf dem der Landesvorstand neu gewählt werden muß, den Hut in den Ring - nicht zuletzt auch, um eine Generalsekretärs-Lösung mit dem Vogel-Intimus und Kultusminister Georg Gölter zu verhindern (der sich in diesem Amt unweigerlich als späterer Landesvorsitzender empfohlen hätte).
Vogel ist ob des Wilhelm-Vorstoßes verblüfft, spricht zuerst von einem "ganz normalen demokratischen Vorgang", bis ihm klar wird, welche Demontage sich da anbahnt. Auf einmal droht er damit, auch als Regierungschef zurücktreten zu wollen, wenn die Partei ihn nicht wieder zum Landesvorsitzenden wähle. "Wer dem Landesvorsitzenden das Vertrauen entzieht, der will den Sturz des Ministerpräsidenten."
In Bonn schrillen die Alarmglocken. CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, selbst Pfälzer, spricht von einem "Stück aus dem Tollhaus". Parteichef Kohl, Vogels Vorgänger, versucht Wilhelm seine Kandidatur auszureden. Vergebens. Der Coup war längst gründlich vorbereitet. Wilhelms Truppen sind längst die stärkeren. Vor allem der Koblenz-Trierer Bezirk steht zu ihm. Das Fürbittgebet des Pfarrers von St. Stefan zu Mainz (wo Wilhelm einst Meßdiener war) hilft Vogel ebensowenig wie die dramatische Warnung von Heiner Geißler (die sich am Ende bestätigen sollte): "Der Sturz Erhards als Parteivorsitzender hing der CDU lange in den Kleidern, drei Jahre später waren wir die Regierungsverantwortung los."
Vogel erleidet am 11. November in Koblenz eine klare Niederlage: 258 der 449 Delegierten stimmen für Wilhelm, nur 189 für ihn. Vogel ist erschüttert, hatten doch seine Auguren gerade ein umgekehrtes Stimmverhältnis vorausgesagt. Dem Sieger verweigert er den Handschlag. Er geht ans Podium und sagt mit gefaßter Stimme: "Ich stehe selbstverständlich zu meinem Wort. Ich habe Ihr Vertrauen nicht gefunden, ich habe eine Niederlage erlitten. Ich werde daraus die Konsequenzen ziehen. Ich bin am 2. Dezember 1976 zum Ministerpräsidenten gewählt worden, der 2. Dezember 1988 wird mein letzter Arbeitstag sein." Und dann fügt er hinzu: "Gott schütze Rheinland-Pfalz!"
Ob diejenigen, die in der Wohnung des Abgeordneten und Bimssteinfabrikanten Lambert Mohr in Plaidt gemeinsam mit Wilhelm bei schlichtem "Dippekuchen" ihren Sieg feiern (Prälat Hammes bringt den Segen der Kirche mit), ahnen, daß es für die CDU der Ausgangspunkt einer Niederlage werden würde?
Viele in der CDU jubeln erst einmal über die Erneuerung, doch nicht wenige einfache Mitglieder und treue Anhänger sind tief entrüstet über den Sturz Vogels. Der Junggeselle verkörperte die tiefkatholische Kultur im Lande, hielt auch beim Paragraphen 218 Kurs (was ihn bei der Landtagswahl Stimmen kostete). "Mit Bestürzung habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Partei, der ich schon seit meiner frühen Jugend angehöre, sich inzwischen einen Stil angeeignet hat, der vielleicht Western-Shootisten zur Ehre gereichen würde, mit christlichen Umgangsformen aber nichts mehr zu tun hat." Ein "erbarmungsloses Kesseltreiben" sei das gewesen - so begründet beispielsweise Prälat Fischer, Leiter des Katholischen Büros in Mainz, seinen Austritt aus der CDU. Und viele folgen seinem Beispiel. In der Folgezeit verlassen Tausende der einst 76.000 Mitglieder die Partei, sie fällt nach der Mitgliederzahl deutlich hinter die SPD zurück.
Wilhelm weiß, daß die SPD die Entrüstung über die "Hinrichtung" ("") Vogels nutzen kann, um den "anständigen" - Scharping - gegen den "unanständigen" - Wilhelm - Jung-Politiker zu setzen. "Es wird nicht einfach werden", seufzt er. Scharping nutzt denn auch die Gunst der Stunde, greift die Empörung auf: "Einmalig und unanständig" sei die Abwahl Vogels gewesen. Die Krise in der CDU dürfe nicht zur Krise des Landes werden. Krokodilstränen? Die SPD verlangt eine Landtagsdebatte, fordert die Neuwahl des Landtages. Natürlich macht die FDP nicht mit, und selbst die Grünen sprechen von einem "Show-Antrag" und einer "Zumutung für das Parlament". Scharping sagt rückblickend: "Es ging uns mit unserem Antrag darum, die CDU zu einer raschen Personalentscheidung zu zwingen und zu verhindern, daß Wilhelm die Frage der Vogel-Nachfolge bis über Weihnachten hinaus offen lassen konnte. Das ist uns gelungen."
Denn Wilhelm steckt in einer Falle, die er sich selber gestellt hat. Die Ämtertrennung hatte er zum Prinzip erhoben. Also kann er nun nicht auch noch Vogel als Ministerpräsident beerben. Oder soll er nicht vielleicht doch Regierungschef werden? Man könnte dann ja einen anderen zum Parteivorsitzenden wählen. Wilhelm erweist sich als Zauderer. Oder hat er Angst vor zuviel Verantwortung? "Natürlich hätte ich jetzt Ministerpräsident werden können, wenn ich gewollt hätte. Ich wollte aber nicht", sagt er. Und so kommt es zu einer "Tandem"-Lösung mit dem bisherigen Finanzminister Carl-Ludwig Wagner als Ministerpräsidenten - ein Mann, der öffentlich Vogel unterstützt. Sofort wird der Verdacht geäußert, der 59jährige Trierer Bezirkschef solle nur für zwei Jahre den Platzhalter für Wilhelm spielen. Doch der versichert: Mit Wagner gehe man auch in den Wahlkampf 1991.
Schon bald gerät die neue Regierung aus dem Tritt. Anläßlich seiner Hundert-Tage-Bilanz redet Wagner über die "Koalitionsfähigkeit" der Republikaner und zieht gleichzeitig die Staatstreue der Grünen in Zweifel. Die fordern daraufhin seinen Rücktritt. Scharping kommentiert: "Wagner ist im Kern konservativer, als es Vogel je war." Er sei ein Regierungschef "ohne politische Initiative", ein Mann ohne Phantasie.

Die SPD erstmals stärkste Partei


Der nächste Test findet am 18. Juni 1989 statt: Kommunal- und Europawahl. Die SPD wird erstmals stärkste Partei. Für ihre Europa-Kandidaten werden 40,2 Prozent der Stimmen abgegeben, die CDU erhält nur 38,7 Prozent; das sind 7,9 Prozent weniger als fünf Jahre zuvor. Bei den Wahlen zu den kommunalen Gremien liegt die SPD mit 42,5 Prozent noch deutlicher vor der CDU mit 37,6. Wie steil es mit der Union abwärts gegangen ist, zeigt besonders eindrucksvoll die Entwicklung im Kreis Trier-Saarburg, wo besonders viele Menschen vom Weinbau leben. Noch 1974 erhielt die CDU dort 66,7 und die SPD nur 24,6 Prozent der Stimmen. Diesmal ist der Abstand auf 5,3 Prozent geschrumpft: CDU 44 Prozent, SPD 38,7 Prozent. Ein Viertel der Gemeinden dieser einst "schwarzen" Domäne wird seither von SPD-Bürgermeistern geführt. Die politische Landschaft habe sich nun auch in Rheinland-Pfalz verändert, kommentiert Scharping den Erfolg. Man habe auch "einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Bundesergebnisses der SPD geleistet".
Das alles bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die CDU-interne Diskussion. "Ein Teil der Leute mag uns derzeit nicht", stellt Landeschef Hans-Otto Wilhelm resigniert fest. Schon bald beginnen die eigenen Leute am Amtssessel des Ministerpräsidenten zu sägen, der im übrigen auch Vorsitzender des Bezirks Trier ist, wo es die CDU besonders schlimm getroffen hat. Nur jeder zweite Rheinland-Pfälzer kennt Carl-Ludwig Wagner überhaupt. 22 Prozent wollen lieber Bernhard Vogel wiederhaben, als von Wagner regiert zu werden (13 Prozent). Es wird versucht, Wagner wegzuloben - auf den vakant werdenden Posten des Landesbank-Chefs. Doch der macht nicht mit. Er findet seinen Job "aufregend schön" und besteht darauf: "Ich bin ein guter Ministerpräsident."
Als im Frühjahr 1990 die CDU in Niedersachsen abgewählt wird, steigt die Nervosität in der rheinland-pfälzischen Union. "In der gegenwärtigen Verfassung wird die Mainzer CDU Mühe haben, ihre Stellung bei den Wahlen im nächsten Frühjahr zu behaupten", unkt die sonst regierungsfreundliche "Frankfurter Allgemeine". Der Rücktritt von Weinbauminister Ziegler, auf den sich der ganze Zorn der Winzer im Lande gerichtet hatte, weil er ungenehmigte Rebstöcke mit horrenden Bußgeldern belegt hatte, bringt wenig Entlastung.
Die vierteljährlichen "Infas"-Umfragen der "Rheinpfalz" werden in der Union mit wachsender Sorge wahrgenommen. 48 Prozent wollen Scharping, nur 19 Prozent Wagner. Wilhelm kommt immerhin auf 34 Prozent Zustimmung - Signal für einige an der Basis, Wagners Ablösung zu fordern. Wilhelm sieht sich gezwungen, Wagner in Schutz zu nehmen und zu beteuern, daß dieser auch Spitzenkandidat für die Wahl 1991 bleibe.
Scharping nutzt in der zweiten Hälfte der Wahlperiode ein bewährtes Instrument, um eine Druckkulisse gegen die Regierenden aufzubauen: den Untersuchungsausschuß. Es geht dabei um die Vergabe von Lizenzen für Spielbanken und privaten Hörfunk. War es einst ein Bericht der Wochenzeitung "Die Zeit", der Anstoß für den Parteispenden-Untersuchungsausschuß war, ist es dieses Mal ein "Spiegel"-Bericht über angebliche Unregelmäßigkeiten, Mauscheleien und Schmiergelder. Scharping läßt sich von dem Vorhaben auch nicht durch Drohungen der CDU abbringen, man könne nachweisen, daß auch SPD-Leute verwickelt seien. Der Ausschuß fördert zwar nicht die große Sensation zutage, wohl aber viel Anrüchiges. Und etwas bleibt ja immer hängen...

Dämpfer für die SPD-Hoffnungen


Mal wieder ist es die Bundestagswahl wenige Monate vor der Landtagswahl, die der SPD die Stimmung verhagelt. Bei der Lafontaine-Wahl vom 2. Dezember 1990, bei der die SPD auf 33,5 Prozent abstürzt, sackt sie auch in Rheinland-Pfalz auf 36,1 Prozent (1987: 37,1 Prozent) ab. Nachdem die SPD 1989 bei der Kommunalwahl mit 42,5 Prozent und bei der Europawahl mit 40,2 Prozent die Nase vorn hatte, nun also wieder ein Rückstand von 9,5 Prozent. Besonders bitter: Der Wahlkreis Ludwigshafen geht zum ersten Mal an die CDU - an Helmut Kohl!
Ist die politische Wende verpaßt? Scharping mahnt in einem Rundbrief an die Parteimitglieder: "Ohne die vielfach schlechte Wahlbeteiligung in den SPD-Hochburgen hätte der 2. Dezember in Rheinland-Pfalz kein Minus von einem Prozent gebracht - und Helmut Kohl nicht das Direktmandat!" Mit 81,7 Prozent war die Wahlbeteiligung in der Tat die schlechteste seit 1949 bei Bundestagswahlen in Rheinland-Pfalz.
Scharping ermutigt seine Genossen: "Wir wollen am 21. April 1991 an den für uns historischen 18. Juni 1989 anschließen: Das schafft eine rheinland-pfälzische SPD, die in allen Ortsvereinen, in Kreisen, Unterbezirken und Bezirken an einem Strang zieht. Nur wenn wir alle hoch motiviert sind und entsprechend handeln, wird der Funke der Wählerschaft überspringen, werden wir in unseren Hochburgen die Wahlbeteiligung wieder erhöhen und im ganzen Land gewinnen."
Die CDU wittert wieder Morgenluft. Zwei Wochen nach der Bundestagswahl kommt Kanzler Kohl zum Landesparteitag nach Ransbach-Baumbach im Westerwald. Es sei eine "unerträgliche Vorstellung", wenn bei der Landtagswahl am 21. April ein Politiker an die Macht komme, der seine Karriere über Jahre hinweg auf dem Reißbrett entwickelt habe. "Wir sind ein Land der Freude, der Schmallippige ist nicht unsere Sache", sagt er in Anspielung auf Scharping, ohne ihn beim Namen zu nennen.
Und rechtzeitig zum CDU-Landesparteitag lanciert die Landesregierung eine von ihr bestellte Umfrage des Mannheimer Meinungsforschers ("ipos"-Institut) Wolfgang Gibowski (er wird wenig später auf Weisung von Kohl Abteilungsleiter im Bundespresseamt), in der die Welt wieder rosiger für sie aussieht als in den Monaten zuvor: 51,5 Prozent brächten CDU und FDP zusammen. 37,6 Prozent der Bürger des Landes wollten Wagner als Ministerpräsidenten, nur 30,1 Prozent Scharping. Besonders die FDP habe von ihrer Beteiligung an der Regierung profitiert, wird der Partner in der Meinungsumfrage umschmeichelt. Doch die FDP geht vorsichtig auf Distanz. Ihr Justizminister Peter Cäsar rät, sich "nicht hundertprozentig an die CDU zu binden".

Das neue Team


Das Wahlkampfmotto der Sozialdemokraten lautet diesmal ganz konventionell: "SPD - Der Schritt nach vorn." Und das "Regierungsteam", das Scharping für die Wahl 1991 vorstellt, sieht völlig anders aus als vier Jahre zuvor. Mit einer Ausnahme: Kurt Beck ist wieder dabei, ohne besondere Funktionsbeschreibung. Es ist ohnehin klar: Der gleichfalls bärtige Südpfälzer, der 1985 von Scharping die Aufgabe des Fraktionsgeschäftsführers übernahm und sich mehr und mehr zu seinem politischen Zwillingsbruder entwickelte, würde bei einem Wahlsieg Chef der Landtagsfraktion. Neben ihm sind nur noch zwei Mainzer Landtagsabgeordnete dabei: Jeanette Rott (für Frauenfragen) und Christoph Grimm (für Justiz). Rott ist Vorsitzende des Sozialausschusses im Landtag und Abteilungsleiterin bei einem Ludwigshafener Chemieunternehmen. Und mit Grimm ist zugleich der Vorsitzende des größten der drei Parteibezirke, Rheinland/Hessen-Nassau, im Team vertreten. Dabei ist auch Florian Gerster als designierter Minister für Europa- und Bundesangelegenheiten. Der Bundestagsabgeordnete Gerster, ein Verteidigungsexperte, führt den Bezirk Rheinhessen und ist zugleich als Sprecher des rechten "Seeheimer Kreises" ein Mann von Gewicht in der Bundespartei. Rose Götte, pfälzisches Bundestagsabgeordnet, soll Kultusministerin werden, Walter Zuber, Landrat des Kreises Bad Kreuznach, Innenminister. Zuber hat von 1971 bis 1982 als Landtagsabgeordneter den SPD-Arbeitskreis "Polizei und Innere Sicherheit" geleitet.
Ansonsten setzt Scharping auf Sachverstand von außen. Karl Schneider soll das Ressort Landwirtschaft und Weinbau übernehmen. Als Minister in Hessen war er gerade in diesem Bereich erfolgreich. Schneider gilt als Weinbau-Experte, hat aber als Mann von der Bergstraße den Vorteil, in keinem Bereich der rheinland-pfälzischen Weinwirtschaft Interessen zu vertreten. Scharping: "Was den ländlichen Raum angeht, da hatten wir mal einen Minister, der hieß Ziegler, der kam an der Mosel nicht an, weil er aus der Pfalz war. Jetzt haben wir einen, der heißt Langen, der kommt in der Pfalz nicht an, weil er von der Mosel kommt."
Aus Bayern holt sich Scharping die Landtagsabgeordnete Klaudia Martini für das Umweltressort. Sie gilt als Nachwuchs-Talent, hätte fast im CSU-beherrschten Neu-Ulm in der Direktwahl das Oberbürgermeisteramt geholt. Im Landratsamt Neu-Ulm war sie einige Jahre für Abfallwirtschaft und Umweltschutz zuständig.
Für das Ressort Arbeit und Soziales ist auch dieses Mal wieder ein Gewerkschaftschef vorgesehen: Ulrich Galle, Landesvorsitzender der ÖTV, von Hause aus Niedersachse. Scharping weiß: Als künftiger öffentlicher Arbeitgeber braucht er das Wohlwollen der ÖTV. Und Galle ist zudem ein ausgewiesener Sozialexperte.
Highlights im Schattenkabinett sind schließlich die Kandidaten für Finanzen und Wirtschaft. Edgar Meister, Vorstand der Deutschen Pfandbrief- und Hypothekenbank mit einschlägiger Banker-Erfahrung (BfG), ist bereit, den hochdotierten Managerposten zugunsten eines Ministeramts aufzugeben. Jürgen Olschewski soll Wirtschaftsminister werden. Er ist parteilos und erfolgreicher Geschäftsführer der Nokia Deutschland. Scharping hat ihn schon vor Jahren, als Olschewski noch bei der Deutschen Olivetti war, über den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch kennengelernt und ihn schon nach seiner Wahl zum SPD-Landeschef in den neu gegründeten Wirtschaftsrat der SPD berufen. Natürlich weiß jeder: Wenn es zu einem Machtwechsel in Mainz kommt, dann muß mit einer sozial-liberalen Koalition gerechnet werden. Rainer Brüderle von der FDP würde dann Wirtschaftsminister bleiben wollen. Gleichwohl macht Olschewski tapfer Wahlkampf für die SPD. Scharping ist stolz auf ihn: "Die CDU redet vom Aufschwung - unser Olschewski produziert Millionengewinne."
Daß nur drei der eigenen Leute aus dem Landtag dabei sind, ist Gegenstand bissiger Kommentare. Er habe es "an ausreichender Nachwuchspflege fehlen lassen, so daß sich in der Landtagsfraktion neben ihm kaum Köpfe von respektablem Format entwickeln und in Szene setzen konnten", schreibt Reinhold Noll im "Handelsblatt". Auch in der Landtagsfraktion gibt es Murren. Hat man sich nicht jahrelang als Experte abgerackert? Außerdem ist der Bezirk Pfalz nicht mit seinem Vorsitzenden, dem Bundestagsabgeordneten Manfred Reimann, vertreten.
Den Bezirkfürsten habe er gesagt, so verrät Scharping dem "Spiegel": "Wenn ihr wollt, daß ich Ministerpräsident werden soll, will ich die dafür geeigneten Personalentscheidungen treffen." Gegenüber der Parteibasis rechtfertigt er sich für die Auswahl seines Teams so: "Alle unsere Aktivitäten haben mit einer hervorragenden und konsequenten Arbeit in der Sozialdemokratischen Parei und ihrer Landtagsfraktion zu tun. Deshalb betone ich, daß zum Beispiel Roland Härtel, zum Beispiel Fritz Preuss, zum Beispiel Manfred Reimann auch eine gute Wahl gewesen wären für die Aufgaben, die in einer sozialdemokratisch geführten Regierung zu erfüllen sind."
Sein Trostpflaster für die Fraktion: "Ich halte nichts davon, daß man am Ende eine ausgeblutete Fraktion hat und alles, was an Köpfen, Denkfähigkeit und politischer Potenz da ist, nur in der Regierung sitzt. Wir haben personell sichergestellt, daß einer guten Landesregierung eine selbstbewußte Landtagsfraktion gegenübersteht, die zusammen mit der Landespartei auch in der Lage bleibt, Regierungsarbeit zu unterstützen, sie aber auch anzuregen, wenn es erforderlich sein sollte." Bei soviel Lob - wer wollte da noch rebellieren?
Mit dem Presse-Echo kann Scharping zufrieden sein. Der "Mannheimer Morgen" schreibt: "...eine gute Mischung, in der vor allem die bisher unbekannten neuen Köpfe Akzente setzen. Der wirtschaftliche Sachverstand, der sich in den Kandidaten für das Wirtschafts- und Finanzressort repräsentiert, erscheint durchaus als respektables Gegengewicht zu den derzeitigen Amtsinhabern." Die Mainzer "Allgemeine Zeitung" verweist neben Meister und Olschewski auf den Ministerkandidaten Galle, der das "große Wählerpotential der Arbeitnehmer abdecken" kann, und die Parteirechten Gerster und Schneider, um zusammenzufassen: "Dieses breite Spektrum könnte es der SPD erleichtern, tatsächlich stärkste politische Kraft zu werden."
Die "Mainzer Rhein-Zeitung" weiß, warum Scharping zwölf Namen für bislang neun Ressorts anbietet: "Damit will er umfassende Kompetenz` signalisieren. Aber auch ein Zeichen setzen, daß Debatten über mögliche Koalitionen vor der Wahl mit der SPD nicht zu führen sind." Der Südwestfunk schließlich jubelt: "Rudolf Scharping hat mit seinem Regierungsteam einen Volltreffer gelandet. Den Männern und Frauen, mit denen er bei einem Wahlsieg regieren will, wird Freund und Feind attestieren müssen, daß sie ihren Aufgaben gewachsen scheinen."

Eckpunkte für eine menschlichere Politik


Am 2. März 1991 beschließt die rheinland-pfälzische SPD auf einem außerordentlichen Landesparteitag ihr Wahlprogramm. Als Eckpunkte einer "menschlicheren Politik" nennt Scharping die Schaffung von mehr als 25 000 Kindergartenplätzen, den Abbau des Unterrichtsausfalls, Lernmittelfreiheit für alle Schüler, Gesamtschulen, wo Eltern sie wollen, eine bessere Ausstattung der Krankenhäuser und Altenheime mit Pflegekräften (davon allein für die Altenheime 1500 neue Stellen). Außerdem: keine Wiederinbetriebnahme des Atommeilers in Mülheim-Kärlich.
Scharping prangert die "Inkompetenz der Landesregierung" und den CDU-Filz an. Seinen Optimismus hinsichtlich eines Wahlerfolgs begründet er auch mit dem weitverbreiteten Ärger der Wähler über die Steuererhöhungen der Bonner Koalition ("erst belogen, jetzt noch betrogen"). "Helmut Kohl mag sich Kanzler der deutschen Einheit nennen. Er ist aber auch der Kanzler der sozialen Spaltung in Deutschland", sagt er. Auch die FDP bekommt ihr Fett weg. Die "Steuererhöhungspartei" sei "als Tiger abgesprungen und als Bettvorleger gelandet".
Viel Häme schüttet Scharping über CDU-Kultusminister Georg Gölter, der zum dritten Mal aus organisatorischen Gründen und wegen bautechnischer Mängel - es regnete durchs Dach - die mit großem PR-Aufwand angekündigte Salier-Ausstellung in Speyer absagen mußte: "Das Land hat sich bis auf die Knochen in Europa blamiert."
Als Bumerang erweist sich für die amtierende Regierung auch eine bundesweite Image-Kampagne für das Land Rheinland-Pfalz, die besonders originell sein soll. Eine Hamburger Werbeagentur hat dazu Sprüche erdacht wie "Alle Rheinland-Pfälzer leben hinter dem Mond" oder "Rheinland-Pfälzer könnnen nur Wein lesen" oder "Um Rheinland-Pfalz sollte man lieber einen Bogen machen".
Der Wahlkampf der SPD ist - Team hin, Team her - praktisch auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten. "SPD. Wir in Rheinland-Pfalz" ist das Signet, das neben dem Motto "Der Schritt nach vorn" überall auftaucht. Scharping greift das CDU-"Tandem" Wagner-Wilhelm an, Wagner ist für ihn ein "Ministerpräsident mit Verfallsdatum". Ein Beispiel für die Stimmung im Lande: Bei einer Veranstaltung in Zweibrücken steht ein örtlicher Unternehmer auf und erklärt öffentlich: "Ich bin CDU-Anhänger, aber ich wähle Sie, Herr Scharping."
Das landespolitische Wahlprogramm tritt hinter das eigentliche bundespolitische Thema zurück: die "Steuerlüge". Kanzler Kohl hatte wenige Monate zuvor im Bundestagswahlkampf versprochen, daß es wegen der deutschen Einheit keine Steuererhöhungen geben werde. Im Februar zieht die Bundesregierung die Notbremse und beschließt eine Reihe von steuerlichen Maßnahmen, darunter eine 7,5-prozentige Ergänzungsabgabe als "Solidarzuschlag". Die Finanznot ist so groß, daß Kohl keine Rücksicht auf seine Freunde in Mainz nehmen kann. Ausgerechnet zwei Tage vor der Landtagswahl steht das Steuerpaket auch im Bundesrat auf der Tagesordnung.
In der letzten Phase des Wahlkampfs kommt das Thema rot-grüne Koalition wieder auf. In Teilen der SPD-Wählerschaft wird per Mundpropaganda eine Zweitstimmen-Kampagne zugunsten der Grünen inszeniert. Doch Scharping bleibt hart, verweigert auch dieses Mal eine Aussage über künftige Bündnisse. "Meine Erfahrung sagt mir, daß der Stärkste im Parlament auch einen Partner findet. Es gibt schließlich kleine Parteien, deren ganze Existenzberechtigung darin besteht, mitregieren zu können." Maßstab werde sein, "mit welchem Partner ein Höchstmaß an sozialdemokratischer Politik verwirklicht werden kann. Ebenso ein Höchstmaß an Zuverlässigkeit. Das wird sich aber erst in Verhandlungen erweisen."
Die Absage der FDP an eine Koalition mit der SPD nimmt er jedenfalls nicht ernst - zu recht, wie sich herausstellen wird. Eine große Koalition schließt Scharping im übrigen aus. In Rheinland-Pfalz sieht es nicht danach aus, daß durch den Einzug von Rechtsradikalen den beiden großen Parteien gar nichts anderes übrigbleiben könnte, als gemeinsam zu regieren.

Die Nacht des Siegers


21. April 1991, Wahltag in Rheinland-Pfalz. "Wir werden gewinnen", sagt Scharping, als er schon frühmorgens in Lahnstein an die Wahlurne geht. Spätger geht er auf den Fußballplatz. Dann fährt er nach Mainz, ruft Freunde wie Konstantin Wecker und Hanns Dieter Hüsch an, dankt ihnen für ihren Einsatz. Der rheinland-pfälzische Bürger Helmut Kohl wählt daheim in Oggersheim. Ärgerlich weist er journalistische Neugier in die Schranken: "Ich bin als Privatmann hier, ich will wählen, sonst nichts." Und der Noch-Ministerpräsident? "Ich habe die Prognose, daß es sehr knapp wird", sagt Carl-Ludwig Wagner, als er am Sonntagvormittag in der Grundschule Trier-Ruwer seine Stimme abgibt.
Es wird nicht knapp, sondern eindeutig. Schon die ersten Trendmeldungen signalisieren die Wende in Mainz. Scharping hat sich mit seinen Vertrauten in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Die Fraktionsräume im zweiten Stock am Deutschhausplatz sind längst zu eng geworden. Um 18.40 Uhr geht die Tür auf, der Sieger kämpft sich durch das Gedränge von Presseleuten und Sympathisanten. Er steigt auf einen Stuhl und stellt in seiner nüchternen Art fest: "Das ist ein sehr schönes Ergebnis für uns und für Rheinland-Pfalz. Und es ist eine Niederlage für Helmut Kohl."
Ein Stockwerk darunter: Totentanz. Hier residiert die CDU-Fraktion. Wer am kalten Buffet der SPD zu kurz kommt - hier gibt es mehr zu essen, als nachgefragt wird. Für die Christdemokraten ist eine Welt zusammengebrochen. Nach 44 Jahren müssen sie in den kurfürstlichen Gemächern die Schreibtische räumen.
Die Hochrechnungen stabilisieren sich schnell. Das amtliche Endergebnis lautet: SPD 44,8 Prozent, CDU 38,7 Prozent, FDP 6,9 Prozent, Grüne 6,4 Prozent. Ein klarer Wählerauftrag an die SPD. Oskar Lafontaine ist schon da, als aus Bonn auch SPD-Chef Hans-Jochen Vogel herbeigeeilt kommt. Er kann wieder einen Sieg abhaken.
Doch das Ergebnis ist vor allem ein rheinland-pfälzisches. Scharping und die SPD haben es sich hart erarbeitet. Ein bißchen Glück hat auch mitgespielt. Zu später Stunde gesteht Scharping - so weiß der "Stern" zu berichten -, "daß er dank eines Verräters im CDU-Landesvorstand schon seit Oktober vergangenen Jahres die gesamte Wahlkampfplanung der Union, inklusive aller Plakatentwürfe und Wahlslogans, auf dem Tisch liegen hatte".
Die Wahlforscher analysieren das großartige Ergebnis:
Gewinne der SPD und Verluste der CDU machen einen "Swing" von 12,4 Prozentpunkten aus. Das bedeutet eine tiefe strukturelle Veränderung im Wählerverhalten. Hinzu kommt, daß die SPD in den Altersgruppen zwischen 25 und 45 Jahren über 49 Prozent Zustimmung erreicht hat. 58 Prozent der Arbeitnehmer haben SPD gewählt.
Selbst bei den Katholiken, sofern sie nicht gerade eine besonders starke Kirchenbindung haben, ist die SPD stärkste Partei geworden.
Die CDU-Hochburgen wurden abgeschmolzen, was sich besonders eindrucksvoll im Regierungsbezirk Trier zeigt, wo die CDU seit 1975 25 Prozent verlor und die SPD 15 Prozent hinzugewann. Der Vorsprung der CDU am 21. April 1991 beträgt am Ende nur nur einen Prozentpunkt.
Anders als noch vier Jahre zuvor artikulierten die Wähler ihre Unzufriedenheit nicht durch Stimmenthaltung oder ein Kreuz für Protestparteien, sondern mit dem Willen, die Opposition ranzulassen.
Scharpings Wahl zum Spitzenkandidaten signalisierte mit 94,4 Prozent eine hohe Zustimmungsquote. Die SPD erschien als geschlossene Partei.
Demgegenüber vermochte die CDU mit ihrer "Tandemlösung" nicht die Querelen um den Sturz von Bernard Vogel vergessen zu machen. Nur 15 Prozent der Wähler und 25 Prozent der CDU-Anhänger fanden die Lösung gut.
Scharping führte einen argumentativen, engagierten und offensiven Wahlkampf, präsentierte beizeiten Regierungsprogramm und Regierungsmannschaft. Die Wähler hielten Scharping für den glaubwürdigsten der angebotenen Politiker.
Bei den Themen Umweltschutz, Verkehr, Kindergartenplätze und Wohnungspolitik wurde der SPD eindeutig die größere Kompetenz zugesprochen. Nur in der Wirtschaftspolitik traute man der CDU mehr zu.
Mit dem Thema "Steuerlüge", das den Wahlkampf überlagerte, war die CDU in der Defensive. (Sie selbst ist im übrigen der Meinung, ohne die Steuerdiskussion hätte sie 46 Prozent bekommen.) Hinzu kamen kurz vor der Wahl Berichte über geplante Erhöhungen der Telefongebühren.
Die Öffnung der Partei, verbunden mit dem Wahlslogan "SPD. Wir in Rheinland-Pfalz", suggerierte im schwarzen Rheinland-Pfalz auf einmal eine Identität SPD = Land.
In der SPD-nahen Zeitschrift "Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" versucht Norbert Seitz unter der Überschrift "Spätlese in Rheinland-Pfalz" noch tiefer in die Wählerpsychologie einzudringen: "In Wahrheit wurde jener Kandidat gewählt, der geschickt in der aufgeklärt-landeskonservativen Spur wandelte, die Vogel 1988 verlassen mußte. Rudolf Scharping wurde selbst von wertkonservativen CDU-Traditionalisten zum legitimen Nachfolger seines Vorgängers gekürt... Mit Scharping siegte eine moderate Enkel'-Kreuzung: aus Lafontaines Machtinstinkt - abzüglich seines Polarisierungseffekts; und Engholms integrativer Modernität - zuzüglich vielgeschmähter Sekundärtugenden. Der Sieger von Mainz repräsentiert den Typus des Halb-68er, des zähen, gestandenen Juso-Funktionärs der 70er Jahre, der die Auferstehung der Grünen in den 80ern nur als progressives Raubrittertum auf ureigenem Thementerrain empfand."
Bei alledem darf man nicht vergessen, daß der Niedergang der CDU ein wahres Geschenk für Scharping war. Erich Stather, sein langjähriger engster Mitarbeiter: "Es hätte genausogut zu einer knappen Bestätigung der alten CDU-FDP-Koalition kommen können. Aber Scharping hätte auf jeden Fall deutlich zugelegt. Ich bin überzeugt, er hätte dann auch den dritten Anlauf in Rheinland-Pfalz versucht." Dazu paßt, was er zwei Tage vor der Wahl der "Rhein-Zeitung" auf die Frage geantwortet hat, ob er der Landespolitik erhalten bleibe, wenn er nicht Ministerpräsident würde: "Ich bin noch nie hin- und hergehopst."

Partnersuche


Doch wie geht es weiter? Die SPD braucht einen Koalitionspartner. Entweder die Grünen oder die FDP. Für die Jusos ein klarer Fall. "Das rot-grüne Chaos jetzt", rufen sie im Chor dem Sieger des Abends zu. Und damit er's nicht vergißt, schenken sie ihm eine Rotbuche, die auch grüne Blätter tragen soll. Mehrere Parteigliederungen, vor allem in der Pfalz, verlangen Rot-grün. Selbst der DGB-Landesbezirksvorsitzende Dieter Kretschmer (zu Scharpings Juso-Zeiten Mitglied des Juso-Bundesvorstandes) und die Vorstände der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie der Gewerkschaft Leder empfehlen ein Bündnis mit den Grünen, weil sie "eine hohe Übereinstimmung in der Programmatik von SPD und Grünen" (GEW) sehen. Doch Scharping verbittet sich die Einmischung "besonders von außerhalb der Partei".
Die Grünen sind sich ihrer Sache ebenfalls sicher. "Es müßte doch mit dem Teufel zugehen...", sieht sich Gisela Bill schon auf der Regierungsbank - als Frauenministerin. Denn schließlich zeigt eine "Infas"-Umfrage: 37 Prozent der SPD-Anhänger wollen eine rot-grüne, nur 27 Prozent eine sozial-liberale Koalition, 20 Prozent eine große Koalition. Es wäre "mehr als ein schlechter Witz", tönt es von Wiesbaden herüber, aus dem Munde von Umweltminister Joschka Fischer, wenn die SPD sich für den Neuanfang der FDP bedienen würde. Schließlich gehöre sie genauso wie die CDU zu den "Wahlbetrügern" von Bonn.
Und die FDP selbst? Ihr Wahlziel war es gewesen, weiter an der Regierungsverantwortung beteiligt zu sein und möglichst "eine 8 vor dem Komma" zu schaffen. Verhindert werden müsse ein rot-grünes Bündnis, eine große Koalition oder auch eine absolute Mehrheit der CDU. Mit der eigentlichen Koalitionsaussage hatte FDP-Chef Rainer Brüderle den Koalitionspartner lange hängen lassen. Erst sechs Wochen vor der Wahl beschloß ein Landesparteitag unter dem Druck des Bundesvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff, man werde auch dann mit der CDU zusammengehen, wenn diese nicht mehr stärkste Partei sei. Brüderle freilich, der bereits zu ahnen schien, daß auch dies nicht zur Mehrheit im Landtag reichen würde, will schon zu diesem Zeitpunkt ein Zusammengehen mit der SPD nicht völlig ausschließen. Denn 51 Prozent Rheinland-Pfälzer, so signalisieren Meinungsumfragen ("Infas"), sehen die Zeit für einen Machtwechsel gekommen. 42 Prozent der FDP-Wähler sind für ein Offenhalten der Koalitionsmöglichkeiten, jeder vierte will sogar dezidiert eine sozial-liberale Koalition.
Wer im Wahlkampf und am Wahlabend genau hingehört hatte, mußte davon ausgehen, daß Scharping auf ein Bündnis mit der FDP setzen würde. Die Grünen aber hatten geglaubt, es sei pure Wahlkampfstrategie, wenn Scharping ihnen die kalte Schulter zeige. Und nun verhandelt er tatsächlich mit ihnen genauso wie mit der FDP, ohne freilich auch nur andeutungsweise erkennen zu lassen, wo seine Präferenz liegt. Die Verhandlungen ziehen sich hin, denn zu Scharpings Strategie gehört es offenbar, durch Gelassenheit Stärke zu zeigen. 60 Stunden wird mit der FDP, 70 Stunden mit den Grünen verhandelt. Hinter den Kulissen kommen SPD- und FDP-Spitze aber bald zur Sache, klopfen an einem bis zuletzt geheimgehaltenen Ort im Rheingau (es ist der "Nassauer Hof" in Kiedrich), also jenseits der Landesgrenze, alles in einem 120seitigen Papier fest. In der Nacht zum 15. Mai stoßen Scharping und FDP-Chef Brüderle auf die erste SPD-FDP-Koalition in Mainz an. Am Morgen gibt es noch ein offizielles Abschlußgespräch mit den Grünen.
Auf einem "Kleinen Parteitag" der SPD im Mainzer kurfürstlichen Schloß stimmen nur zwei der 70 Delegierten gegen die neue Koalition. Der DGB-Landesvorsitzende Kretschmer kratzt schnell die Kurve: Er sei erstaunt, wie es der SPD gelungen sei, die FDP von einer stark wirtschaftsliberalen zu einer eher sozialliberalen Orientierung zu wenden. Ein Bildungsurlaubsgesetz, mehr Mitbestimmung im öffentlichen Dienst und Förderung der DGB-Technologieberatungsstelle - das alles hat Scharping durchgesetzt, ohne deshalb ein Bündnis mit den Grünen eingehen zu müssen. Die SPD hat außerdem die von der FDP geforderte Abschaffung der Gewerbe- und Kapitalvermögensteuer verhindert und die Zustimmung der Landes zu einer gesetzlichen Pflegeversicherung sowie die Schaffung von von 800 zusätzlichen Lehrerstellen erreicht. Bei der Verkehrspolitik hat man einen Kompromiß gefunden: mehr umweltfreundliche Verkehrsträger, Vorrang von Ortsumgehungen vor neuen Straßen und Autobahnen.
Daß es im Prinzip beim dreigliedrigen Schulsystem bleibt und nur dann Gesamtschulen eingerichtet werden, wenn dies Elternwille ist, ist zwar nicht reine SPD-Bildungspolitik, entspricht aber Scharpings Grundüberzeugung, daß man den Bürgern kein Bildungssystem aufzwingen sollte. Das Nein zum Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich wird gemildert; es soll eine neue Sicherheitsüberprüfung geben und im übrigen "alles nach Recht und Gesetz Mögliche" getan werden, um Mülheim-Kärlich nicht wieder in Betrieb zu nehmen. Behutsames Vorgehen bietet sich schon deshalb an, weil das Land sonst erkleckliche Schadensersatzforderungen riskieren würde. Die FDP schließlich ist stolz, daß sie die Urwahl der Bürgermeister und Landräte durchgesetzt hat.
Die rheinland-pfälzischen Unternehmerverbände sind zufrieden mit der neuen Koalition. Sie sei bei der gegebenen Sachlage eine vernünftige Entscheidung. Die Union hingegen ist genauso unzufrieden wie die Jusos (die vor allem ein klares Nein zum Atommeiler Mülheim-Kärlich vermissen). Der CDU-Landesvorsitzende Hans-Otto Wilhelm - verkehrte Welt - bedauert, die SPD habe "nicht die Kraft aufgebracht, entsprechend dem Wählerauftrag einen Kurswechsel durch Rot-Grün vorzunehmen". Und die Grünen erhalten in der "taz" Trost vom Alt-68er Udo Knapp: Jetzt werde es richtig spannend, wenn die Grünen Scharpings eigene Vorschläge zur Abstimmung brächten, die dieser beim Koalitionspartner nicht durchgesetzt habe. "Gute Zeiten für wirkungsvolles grünes Opponieren. Vielleicht braucht Herr Scharping ja gar keine fünf Jahre, bis er einsieht, daß Mainz noch lange nicht Bonn ist, und verhandelt schon in zwei Jahren noch mal mit den Grünen."
Alles blanke Illusion, wie sich zeigen wird. Die Grünen werden keine nennenswerte Rolle im Landtag spielen und sich nach zwei Jahren ihrer erfolglosen Vorsitzenden Gisela Bill entledigen.